Vor solchen Leuten will ich mich nicht rechtfertigen. - Interview mit Stefan, Dezember 2019

 

Jedes Mal, wenn ich in meiner eigenen Akte rumblättere, ärgere ich mich über mich selbst. Ich wusste genau, dass es falsch ist, was ich tue, aber ich war einfach nicht tapfer genug, nein zu sagen. Ich hatte einfach Schiss. Das Anforderungsprofil, was die Stasi für IM ausgearbeitet hatte, passte genau auf mich. Als ich mich später einem Freund anvertraut habe, sagte dieser zu mir: „Es kann sein, dass diese Zeit dir mehr genutzt hat, als mir geschadet.“

Die Lindenauer Punks zum ersten Mal in Berlin, Sommer 1981 (Foto: Stefan)

Darüber habe ich lange nachgedacht. Ohne diese Erfahrung als Jugendlicher wäre ich heute ein Anderer. Ich denke, ich war danach sensibler. Auch während meiner Armeezeit. Dort habe ich mir nicht alles gefallen lassen und hatte ständig Stress. Beispielsweise gab es einmal ein Verfahren gegen einen Vorgesetzten, weil er betrunken Auto gefahren war. Ansonsten war er sehr gut und hatte den Laden im Griff. An ihm wollten sie ein Exempel statuieren, weil es ja wirklich bei den Offizieren große Probleme mit Alkohol gab. Ich habe damals als einziger gegen den Rausschmiss gestimmt. Plötzlich wollten sie mich wieder ideologisch bearbeiten. Aber ich bin hart geblieben und der „Delinquent“ durfte bleiben. So etwas hätte ich nicht gemacht, ohne diese Stasierfahrung.

Die Umbruchsphase fand ich spannend und toll. Eine Chance, endlich diese ganzen dummen Regeln aus der DDR abzuschaffen. Plötzlich war die Wandzeitung wirklich eine. Jemand pinnte etwas an und jemand anderes schrieb und hängte etwas dazu. Es war wirklich mal Meinungsbildung.

Ich war bis zum letzten Tag der NVA-Soldat. Da ich Techniker war und kein Polit, hatte ich damit keine Probleme. Von deren Schulungen habe ich mich immer ferngehalten. Und die waren auch froh, dass keiner da war, der dumme Fragen stellte. Die Übernahmepapiere zur Bundeswehr habe ich nicht unterschrieben. Das musste ich nicht haben. Bei meiner Abschiedsfeier haben sie mir mein Fahrrad mit diesen ganzen DDR-Emblemaufklebern  zugeklebt. Vom Tretlager bis zum Reifen. Ich kam nicht mehr weg und musste schieben. Als ich dann zur Tür raus bin, standen draußen die anderen schon in Bundeswehruniformen.

Fasching in Markranstädt 1982 (Foto: Stefan)

Ich rede und diskutiere gerne über meine Zeit und was ich getan habe. Aber das mache ich mit den Betroffenen, weil die es einordnen können. Ich finde es fürchterlich, wenn Leute daherkommen, die sich wie Amöben durch die DDR bewegt haben, sich heute als Freiheitskämpfer suggerieren, nur weil sie nach dem neunten Oktober den Mut hatten mit den Massen auf die Straße zu gehen und ihren Kopf mal aus dem Sand zu stecken. Ich habe da so viele Wendehälse kennengelernt, die plötzlich immer schon dagegen gewesen sein wollen und sich in Wirklichkeit nur in ihrer DDR-Nische eingerichtet hatten. Das werfe ich denen nicht vor. Aber das sind die, die von anderen einfordern, zu ihrer Biografie Stellung zu beziehen. Vor solchen Leuten will ich mich nicht rechtfertigen.

Trotzdem habe ich meine Meinung und meine Ansichten. Wenn irgendwelche Arbeitskollegen mit rassistischen Witzen um die Ecke kommen, stelle ich sie zur Rede, oder wenn bei Facebook jemand etwas Dummes postet, reagiere ich. Und zwar nicht unter einem Pseudonym, sondern unter meinem richtigen Namen.

Ich arbeite seit vielen Jahren als Ausbilder und Lehrer mit Jugendlichen. Sie sind so alt, wie wir damals waren. Die haben heute andere Probleme, haben Stress mit ihrem Ausbildungsbetrieb oder werden ausgenutzt. Ich versuche, ihnen Mut zu machen und ihnen beizubringen, sich zu wehren, indem sie zu den Stellen gehen, die ihnen helfen können. Aber ansonsten sind sie genauso wie wir damals. Also genauso doof an manchen Stellen und genauso clever, was das Leben betrifft.

Die erste Leipziger Punkgeneration 1982 (Foto: Stefan)