Wutanfall - Die Ausstellung

Interview aus dem Proud to be Punk Fanzine mit Schrammel (Sommer 2018)

Jan: Hallo Schrammel! Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mir
einige Fragen zu beantworten. Laut eigener Aussage liegen ja sehr
ereignisreiche Wochen und Monate hinter allen Beteiligten, in denen ihr
verschiedene Projekte auf die Beine gestellt habt. Was habt ihr in
dieser Hinsicht alles geschafft und welche Höhepunkte, aber vielleicht
auch Rückschläge haben sich hierbei ergeben?

Das hat ganz klein angefangen. Die beiden Trümmerpogos haben mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, in ihrem Label einzusteigen. Sie wollten gerne eine DDR-Punk-Veröffentlichung machen. Ich habe dann hoch gepokert und gar nicht lange überlegt. Es gibt ja im DDR-Punk nur sehr wenige Bands, die einen riesigen Einfluss auf die Entwicklungen der Szene hatten. Wutanfall galt immer als die beste und beliebteste Band der frühen Achtziger. Es gibt keine Veröffentlichung zum Thema DDR-Punk, wo die Band nicht explizit erwähnt wird. Aber die Musik blieb bisher unveröffentlicht. Das liegt zum einen an der schwierigen Zusammensetzung der Band und zum anderen an dem Schicksal der Gruppe die Stasi betreffend. Umso wichtiger war es mir, davon zu erzählen.

Arbeit an der Ausstellung (Foto: Schrammel)

So ging das los. Und dann habe ich über Freunde irgendwie einen Kontakt zu den ehemaligen Bandmitgliedern hergestellt. Erst einmal war da ein gegenseitiges Abklopfen und wir haben schnell festgestellt, dass wir die gleichen Vorstellungen haben, wie ein solches Projekt aussehen muss. Es war klar, dass alle mitmachen müssen, damit es funktioniert. Inzwischen sind daraus Freundschaften geworden. Dann haben wir auf der Suche nach Material die alten Netzwerke wiederhergestellt. Also nach Weimar, zu Tilo nach England, zu Mart in die Niederlande, zu Ray, zu Christiane  und vielen anderen der ehemaligen Leipziger Punkszene und deren Umkreis. Die haben alle ihre Dachböden durchsucht und es kam wahnsinnig tolles Material zu Tage. Keiner wusste ja vorher, ob überhaupt noch irgendetwas existiert. Ich habe dann auch die offiziellen Stellen durchtelefoniert. Also BStU, Zeitgeschichtliches Forum, Bürgerforum, Unis. Und dort habe ich offene Türen eingerannt. Es hat sich extrem schnell abgezeichnet, dass das Interesse an Wutanfall viel größer ist, als wir gedacht hatten. Die Akten der Band werden in Schulklassen durchgearbeitet. Die Universität beschäftigt sich damit. Es gibt wissenschaftliche Anrisse und so weiter. Aber eben nur Anrisse, viele Falschinformationen dabei. Wenn also eine LP erscheint, muss die Begleitpublikation  einer wissenschaftlichen Prüfung standhalten. Das wurde uns schnell klar.

So habe ich Akteneinsicht beantragt. Die Bandmitglieder haben mir dafür ihr Einverständnis gegeben. Dadurch bekam ich die Akte über Wutanfall selbst (OPK „Stern“), aber auch die Täterakten von den IM (Inoffiziellen Mitarbeitern = Spitzel) und  Polizeiakten. Ich schätze, es waren so um die 4000 Seiten Aktenmaterial. Viele der Akten kannten die Wutanfaller selbst nicht. Durch diese Aktenmasse wird auch die damalige Bedeutung der Band klar. Es war nicht nur die erste Punkband Leipzigs, sondern sie waren eben auch die ersten Punks überhaupt in der Stadt.  Sie sind als Speerspitze  live aufgetreten und haben ihre Texte vor Publikum gesungen. Und das in der gesamten DDR! In einer Zeit, wo mancher Punk noch nicht einmal wusste, was Punk nun wirklich ist. Wutanfall ist Teil der Oppositionsgeschichte der DDR.

Das Banner an der Runden Ecke (Foto: Schrammel)

Während der Recherchen hat uns die BStU gefragt, ob wir nicht eine Ausstellung machen möchten. Ich habe das dann mit den Wutanfallern besprochen.  Die Wutis haben mich auch immer scherzhaft aufgezogen von wegen „Record Release Party“. Die wussten natürlich, dass so etwas schwierig ist ohne Band. Es hatte sich inzwischen auch so viel Material angesammelt, dass wir es in der LP gar nicht unterbekommen haben. Was aber vor allem für eine Ausstellung sprach, war der Gedanke, alle, die bei der Platte mitgemacht hatten, zusammenzubringen und zum Dank eine Party zu feiern. Das waren inzwischen über 30 Leute und die dreifache Anzahl von Sympathisanten.

Eingangstür zur Runden Ecke (Foto: Schrammel)

Wir haben also gemeinsam entschlossen, dass wir eine Wutanfall-Ausstellung machen. So sind Uli (meine Frau) und ich dann zur BStU gegangen und haben denen unseren Plan auf den Tisch gelegt. Die Damen der Behörde waren anfangs ein wenig skeptisch, dann begeistert und am Ende sind wir dort rausgegangen mit der kompletten Unterstützung seitens der BStU.

Uns war wichtig, die Ausstellung in den Räumen der ehemaligen Stasizentrale zu veranstalten. Also dort, wo sie früher die Akten getippt und Pläne geschmiedet haben, die Punkszene unsichtbar zu halten und zu zerstören. Die Ironie an der Sache ist, dass sie mit ihrer akribischen Aktenführung genau das Gegenteil erreicht haben: Wutanfall hat die Zeiten überdauert!

Die Ausstellung ist somit auch ein Tanz auf den Gräbern der ehemaligen Feinde. Eben für alle sichtbar. Es sollte in die Stadt hineinwirken. Eine Ausstellung irgendwo in einer Galerie in Connewitz wäre der falsche Ort und das falsche Zeichen für so etwas gewesen. Jedenfalls sind wir dann zum Kulturamt gedackelt und die haben uns dort auch mit offenen Armen empfangen. Uli und ich haben so eine Strategie entwickelt: Ich rede sie mürbe und Uli präsentiert dann die Rechnungsunterlagen. Das Institut B3 hat dazugegeben und die Landeszentrale für politische Bildung war plötzlich auch noch mit im Boot. Die geplante Ausstellung hat sich so rumgesprochen, dass ich plötzlich zur Krisensitzung musste, weil die Gefahr bestand, dass zu Pfingsten mehr Leute kommen als in die Räume der BStU passen. Wie bekommen wir das geregelt? Wir haben das dann als Kundgebung angemeldet („Mut zur Wut“) mit Getränkewagen vor den Türen der Runden Ecke und haben die Lautsprecher in die offenen Fenster gestellt.  Am Tag der Ausstellungseröffnung waren dann auch 1500 Leute da. Das war ein riesiger Erfolg. Wir arbeiten bereits an weiteren Projekten, die sich aus der Ausstellung ergeben haben. Also es ist noch nicht zu Ende.

Jan: Das Erarbeiten einer kompletten Ausstellung stellt zweifelsohne
einen immensen Aufwand dar. Welche Arbeitsschritte musstet ihr hierfür
bewältigen, welche Hürden haben sich dabei für euch aufgetan und wie
habt ihr es geschafft, diese zu meistern?

Das hatte ich ja bereits angerissen. Die Ausstellung selbst ist der geringste Teil. Die meiste Zeit frisst die Werbung dafür. Das ging beim Flyer-Machen los und endete bei der Überwindung unsererseits, eine Facebookseite einzurichten. Es ist einfach wichtig, möglichst viele Leute zu erreichen. Vor allem, da wir es mit so unterschiedlichen Interessenten zu tun hatten, haben wir hier auf unterschiedliche Materialien gesetzt.

Wutanfallaufkleber in Athen (Foto: Tilly)

Es gabt Flyer, Poster, Citycards  und Aufkleber. Bei letzterem haben wir die alte Wutanfall-Strategie genutzt: Überall, wo man ist, kommt das Logo hin. Das hat super funktioniert. Die Wutanfallaufkleber kleben überall in Leipzig, aber auch in Griechenland, London, den Niederlanden, Berlin, Dresden…Natürlich kommt dann noch die Pressearbeit dazu. Es gibt einige Fernseh- und Radiosender,  die Interesse hatten, Zeitungen fragten nach Bildern und Interviews. Das nahm und nimmt schon viel Zeit in Anspruch.

Zumal eben die Erfahrung uns gelehrt hat, nur gegen Endkontrolle das Geschriebene freizugeben, damit eben nicht noch mehr falsche Informationen über Wutanfall verbreitet werden. Denn genau das wollten wir ja abstellen. Es gibt auch eine „schwarze Liste“ mit Leuten und Zeitungen, mit denen wir nur in gegenseitiger Absprache zusammenarbeiten, weil sie einfach mit dem Thema zu unsensibel in der Vergangenheit umgegangen sind.

Viel Weiteres zu meistern gab es nicht. Es hat alles bis ins kleinste Detail funktioniert. Unsere Helfer sind alle mit dem Herzen und voller Freude dabei gewesen, hielten sich an abgemachte Zeiten und Dinge, so dass ich immer noch staune. Wir sind unheimlich dankbar für die vielen Hilfe und Unterstützung. Es gab es keine Rückschläge. Es ist so ein Gefühl zwischen es musste, aber es wollte auch gemacht werden. Am Ende war ja alles neu für uns. Also Uli und ich haben vorher noch nie eine Ausstellung gemacht, aber auch noch nie eine LP mit einem solchen Budget, auf solch hohem Niveau veröffentlicht. Bisher haben wir aber immer gute Hilfe gefunden oder die Sachen selber gemeistert. Ist halt Punk.  Auch wenn manche glauben, es sei nicht mehr DIY, wenn man nicht im Keller ausstellt, so es ist eben doch komplett DIY. Alles ist selber gebaut, gemacht und improvisiert. Und Geld bleibt für keinen von uns übrig.

Hodscha, Ray, Rotz, Stracke und Carsten bei Messitsch Radio (Foto: Schrammel)

Jan: Eine Zusammenarbeit zwischen (ehemaligen) Angehörigen der
Punk-Szene auf der einen und der Stadt Leipzig, der Sächsischen
Landeszentrale für politische Bildung sowie dem Bundesbeauftragten für
die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR ist
keine Alltäglichkeit. Wie am der Kontakt zwischen euch und den genannten
Institutionen zustande? Inwiefern hat sich diese Zusammenarbeit als
konstruktiv gestaltet, inwiefern hat sie euch in euren Vorstellungen
vielleicht aber auch eingeschränkt?

Naja, es sind ja sogar vier Stränge, die hier zusammengearbeitet haben. Das ist einfach nur genial. Wir haben auf der einen Seite die Behörden und auf der anderen Seite die Untergrundszene. Aber es sind  auch noch 2 Generationen, die ebenfalls miteinander gearbeitet haben. Die ehemaligen Punks und deren Freunde der ersten Punkgeneration und die Szene heute. Da ist zum Beispiel „der Chor“. Die haben mit Chaos zusammen alte Wutanfall-Songs neu interpretiert. Das ist extrem wichtig. Es geht ja nicht darum, die Vergangenheit zu feiern, sondern auch darum, möglichst viele junge Leute für das Thema zu sensibilisieren und auch Neues entstehen zu lassen.

Chaos und der Chor live

Diese vier Stränge haben sich perfekt ergänzt. Alle haben ihre Stärken hier ausgespielt und gedreht. Die BStU ist uns so stark entgegen gekommen bei all unseren Aktionen. Die haben wirklich alles aus der Behörde rausgekitzelt und sind oft über die Grenzen des eigentlich Machbaren und über die Hausordnung gegangen. Das ging bei dem Banner an der historischen Fassade los und endete noch lange nicht beim Bierstand. Uns wiederrum war klar, dass wir Punk in einer Behörde machen. Also mal nen Nagel in die Wand schlagen, geht nicht. Jedenfalls war das hier ein Projekt, wo alle zusammengearbeitet haben, weil wir alle ein gemeinsames Ziel hatten. Und jeder hat dort gedreht, wo seine jeweiligen Stärken lagen. Alles lief nur über persönliche Absprachen. Es gab kaum schriftliche Verträge.  Das ist wie ein anarchistischer Traum. Scheißegal, wo die politische Militanzgrenze des Einzelnen lag.

Aftershowparty im Stoned (Foto: Schrammel)

Jan: Im Nachhinein ist man ja bekanntlich immer schlauer. Gibt es Punkte
hinsichtlich der Doppel-LP, der Ausstellung oder der
Eröffnungsveranstaltung, die ihr rückblickend betrachtet gern anders
gemacht hättet?

Nein. Es war, wie es sein musste.

Jan: Gelegentlich werden szeneintern Stimmen laut, die sich darüber
beschweren, dass mit der historischen Aufarbeitung der Geschichte der
Punk-Bewegung der Blick ausschließlich in die Vergangenheit gerichtet
sei und man so Gegenwart und Zukunft der Szene aus den Augen verlieren
würde. Welche Bedeutung hat die Auseinandersetzung mit der
DDR-Punk-Geschichte für dich vor dem Hintergrund dieser Kritik?

Vergangenheit ist ja auch immer ein Stück Erfahrung, die gemacht wurde, Und nur mit dem Blick in die Vergangenheit kann man die Gegenwart einordnen und eine gute Zukunft bauen. Es kommt ja dabei immer auf den Blick an. Gerade in diesem Land ist ein Rückblick manchmal gar nicht schlecht. Wichtig ist ja, was ich für die Zukunft daraus mitnehme. Für mich ist Punk nie Vergangenheit. Dafür fühle ich mich viel zu lebendig.

Aftershowparty. Chaos und Stracke mit den Weimarern (Foto: Schrammel)

Gerade bei Wutanfall geht es ja auch darum, eben zu erzählen, was eine Diktatur mit ihrer Jugend gemacht hat, aber eben genauso darum, wie sich in einer Diktatur Freiheit erkämpfen lässt. Gerade Chaos und Stracke gehen viel in Schulklassen. Sie berichten immer wieder davon, wie unverständlich das für die Jugendlichen zu verstehen ist, dass man eben nicht so einfach zur Polizei gehen konnte, um sein Recht zu bekommen. Was unsere Freiheit eben heute auch bedeutet. Auch wenn hier noch lange nicht alles rund läuft. Das ist unwahrscheinlich wichtig und dient nicht der persönlichen Vergangenheitsbewältigung, sondern der Aufklärung weiterer Generationen. Oft halten sich Lehrer lieber etwas länger am zweiten Weltkrieg auf. Das ist sicheres Terrain. Die eigene, neuste Geschichte zu hinterfragen, setzt viel Mut voraus. Weil es eben unbequem ist. Es ist die Frage nach der eigenen Vergangenheit oder der Vergangenheit der Eltern und dem Umgang jetzt mit Strukturen, wie Pegida und Co.

Die Lautsprecher nach außen gedreht (Foto: Schrammel)

Hinzu kommt auch, dass durch Vergangenheit Neues entstehen kann. Chaos hat mit dem Chor zusammen alte Wutanfall-Songs komplett neu arrangiert und damit in das „Jetzt“ geholt. Es bleibt also nicht beim Damals. Kritik übe ich persönlich eher an dem unkontrollierten Ausverkauf des DDR-Punks. Da erscheinen LPs ohne Aufarbeitung, lieblos hingerotzt ohne wirkliche Informationen zum Schicksal der Bands. Die LPs enthalten oft richtig grobe Fehler, weil die Macher bei Paroktikum Wiki abgeschrieben haben, ohne sich tatsächlich damit zu befassen oder selber nachzuforschen. Da ist während der Entstehung der Wutanfall-LP einiges „Gruseliges“ auf den Markt geworfen worden. Plötzlich werden Gruppen zu Legenden, die aus ihrem Proberaum gar nicht rausgekommen sind. Oder andere Gruppen werden zu den Vorzeige-DDR-Punk-Legenden, die mit Einstufung auf FDJ-Feten gespielt haben und sich weigerten, in Kirchen zu spielen, weil sie Angst hatten, ihre Amigaplatte vermasselt zu bekommen. Das ärgert mich schon sehr. Denn so kann keine Aufarbeitung stattfinden. Und dies ist eben bei einer solchen Musik wichtig, weil die Entscheidung in der DDR Punk zu sein, existentiell war. Es ist eben nicht „nur“ die Musik. Wir wollten mit der Qualität der Platte auch ein Zeichen setzen, dass DDR-Punk auch anders veröffentlicht werden kann. Vielleicht schaffen wir es dadurch, auch einige andere Labels zum Umdenken anzuregen.

Jan: Vielen Dank für deine Antworten. Möchtest du abschließend noch
etwas sagen?

Ich möchte allen Beteiligten, die an der Ausstellung und der LP beteiligt waren, danken. Besonders Uli, meiner Frau, ohne die hier gar nichts geworden wäre. Es ist und war mir eine riesige Ehre und ich verbeuge mich vor dem Mut, dem Vertrauen und der Ehrlichkeit, die mir die Leute entgegengebracht haben. Danke für eure Freundschaft.

...und die Dresdner waren auch da (Foto: Paranoia himself)