Schallplatten aus Prag

Hallo Jakob,

hier mein kleiner Text zum Foto.

Das Foto entstand im Juni 1978 (Götz Rohmer). Es müsste einer meiner ersten Prag-Fahrten gewesen sein. Ich hatte gerade meine Lehre an den Theaterwerkstätten Leipzig beendet.

Rockmusik infiziert war ich aus ganz unerklärlichen Gründen. Man kann das gar nicht so richtig erklären. Es fing auch ganz harmlos an. Mit ca. 10 Jahren waren es solche Sachen aus dem sozialistischen Ausland und DDR-Rockmusik, die ich mir gern anhörte. Schnell wurde die Suche nach weiteren Schätzen erweitert. Mit der nötigen Offenheit im Hörbereich erschloss sich ein ganzes Universum von Musik.

So brachte mich der Schlagersänger Fred Frohberg der Schwarzen Musik nahe. Er hatte eine Unmenge Schallplatten mit Spirituals und natürlich Louis Armstrong, dessen Lieder er am liebsten sang! Die Platten hat er mir auch sehr gern geborgt. Von ihm erfuhr ich z.B. auch was Ketten-Songs sind. Die Gesänge der Galeeren Sklaven. Das war neu und sehr spannend für mich.

Juni 1978 in den frühen Morgenstunden in Prag. Die Beutel gefüllt mit heißer Ware unter Breschnews Augen. (Foto: Götz Rohmer)

Mein Freund Frank Kegel hatte eine Band, „Universum“, die immer im Keller probten. Aber da traute ich mich noch nicht runter, obwohl ein Schild an der Haustür ausdrücklich aufforderte, der Probe beizuwohnen. Der Altersunterschied spielte doch noch eine große Rolle. Immerhin hörte ich den Sound, der aus dem Keller drang. Er hatte einen Freund und Bandkollegen, der schon unheimliche Vinylschätze besaß. Es war Johannes Saurer, mit dem ich bis heute sehr eng befreundet bin.

Bei meinem ersten Besuch bekam ich die roten polnischen Kopfhörer und er legte die Yes-Platte „Close to the Edge“ auf. Da war ich vollkommen entrückt. So etwas hatte ich noch nie gehört! Unglaublich, was passiert da!? Von da an war ich endgültig infiziert. Bei Hansi traf ich dann auch auf den kleinen Stefan. Er war ein Schüler von Hansi. Jetzt dauerte es auch nicht mehr lange, bis das Gespräch auf den Plattenmarkt in Prag kam. Den haben sie zufälligerweise auf einen Gemüsemarkt in Prag entdeckt. Durch ständige Razzien fand der Plattenmarkt immer an einem anderen Ort statt.

Klaus-Peter John als Sänger bei Neu Rot im Grafikkeller Leipzig 1986. (Foto: Charlie Köckritz)

Da wollte ich unbedingt mit. Mit dem Lehrlingsgeld, 80 Mark, konnte man maximal eine Lizenzpressung (Jugoton – Jugoslavien oder die legendären DUM DUM – China) ergattern. Also wurde gespart. Das ging ganz gut, da ich noch keine eigene Wohnung hatte. Ab Juli 78 wurde es dann besser. Da bekam ich als ausgelernter Theatertischler 320 Mark – das entsprach genau dem Wert für 3 LPs.

Im Juni 1978 kam es für mich zur ersten Fahrt zum Plattenmarkt. Zu Fünft machten wir uns auf die Reise. Mit ganz unterschiedlichen Musikgeschmäckern. Wichtig war es, am Vorabend herauszubekommen, wo der Plattenmarkt am Sonntag früh stattfindet. Also musste man eine Kneipe aufsuchen, wo es junge Leute mit langen Haaren gab. Dort hat man dann den aktuellen Ort fast immer in Erfahrung bringen können. Ich war total aufgeregt. Geschlafen haben wir auf dem Bahnhof, wo wir allerdings meist verscheucht wurden. Also suchten wir uns Wohnhäuser am Wenzelsplatz, wo die Haustüren nicht verschlossen waren. Dort ging es dann bis zum Bodengeschoss, in der Hoffnung, etwas Schlaf zu finden.
Allerdings waren wir alle so aufgedreht, dass das meist auch gar nicht so richtig gelang. Sehr früh ging es dann zu dem angegebenen Platz. Und als dann die ersten Verkäufer mit dem Beutel im quadratischen Format kamen, waren wir alle vollkommen aufgeregt. Was für LPs stecken da wohl drin? Langsam füllte sich der Platz im Park. Der Markt hatte sich mit der Zeit aus der Altstadt auf den Park auf der Seite des Hradschins verlagert. Dort war man sicherer vor Razzien, d.h. es gab immer auch Leute, die ein sogenanntes Vorwarnsystem darstellten. In diesem Moment rannten alle mit ihren Beuteln blitzschnell in alle Richtungen. Hatte man dieses Pech, musste eine weitere Pragfahrt geplant werden.

Man hat dann noch versucht, den Flüchtenden in die Plattenbeutel zu schauen, in der Hoffnung, noch etwas Begehrtes zu ergattern. Aber im Juni 78 hatten wir Glück. Ich weiß nur noch, dass bei mir eine Jimi Hendrix Soundtrack Fillmore dabei war. Aber die Gesamtpallette war sehr bunt. So wurde Patti Smiths „Horses“, Stranglers „No More Heroes“, Dylan, Zappa, Weather Report gekauft. Hansi erwarb dann Steve Hillages „Green“ und Camels „Snow Goose“. Und so sind wir überglücklich durch Prag zum Bahnhof geschlendert. In der Hoffnung, die Schätze sofort auf dem Plattenteller zu wissen…

Klaus-Peter John bei The oval Language. Fotosession in der Kiesgrube 1988. (Foto: Peter Schüler)

Dabei bemerkten wir in der gesamten Stadt in unzähligen Geschäften das Foto von Breschnew. Das war wohl eine ganz klassische Propagandaaktion für die Bevölkerung, Breschnew willkommen zu heißen. Das sah in Wirklichkeit ganz anders aus. Die Bevölkerung war wohl eher angewidert.
Für uns war es Grund, uns darüber lustig zu machen und mit unseren Plattenbeuteln darunter zu posieren. Das, woran wir glaubten, war in unseren Beuteln gesichert. Jetzt kam noch die Angst vor dem Zoll beim Grenzübertritt. Wir hatten Glück und kamen gut durch. Seitdem fanden dann unsere Plattenmarktfahrten regelmäßig statt. Sobald man genügend Geld zusammen hatte, ging es wieder in Richtung Prag!

Liebe Grüße

Klaus-Peter John