Das hat positive wie auch negative Seiten – Interview mit Wolf Scheidt von Andreas Auslauf

Gemeinsam mit Gruppen wie L’Attentat, Schleimkeim oder Namenlos standen sie Mitte der Achtzigerjahre auf den Bühnen der Kirchen und Keller in der gesamten DDR. Dadurch gehörten sie zu den prägenden Bands des Underground. Und spätestens nach dem Kultfilm „Ostpunk“ mit dem Titelsong „Zivilisation“ ist Andreas Auslauf auch für jüngere Generationen zum Begriff geworden. Für mich gehören sie zu den besten DDR-Punk Gruppen überhaupt. Nicht nur weil sie sich jeder Art von staatlicher Einmischung wiedersetzten, sondern vor allem, weil ihre Texte weit weg vom typischen 0815-Punk-Klischee angesiedelt waren und damit ihre Gültigkeit auch im vereinten Deutschland nicht verloren haben.

Im Frühjahr 2021 erscheint endlich eine LP von Andreas Auslauf mit Aufnahmen, welche vor über 33 Jahren entstanden. Die Platte ist eine Gemeinschaftsarbeit von Truemmer-Pogo, dem Major Label, dem Heldenstadt-Anders e.V. und der Band. Es war längst überfällig Andreas Auslauf aus Suhl diesen Tribut zu zollen, deren Geschichte aufzuarbeiten und ihre Musik in der bestmöglichen Qualität wieder zugänglich für alle zu machen. Die Scheibe erscheint im Klappcover mit Downloadcode, Poster und einem dicken, umfangreichen Beiheft, in dem bisher unveröffentlichte Fotos, Texte, Geschichten und viele, viele Hintergrundinformationen vereint sind. Grund genug, um Wolf Scheidt, dem ehemaligen Gitarristen von Andreas Auslauf, im Vorfeld schon einmal etwas auf den Zahn zu fühlen, um mehr über die Suhler DDR-Punkszene und natürlich die Band selbst zu erfahren, damit die Zeit bis zur LP Veröffentlichung nicht zu lang wird.

Wolf Mitte der Achtziger Jahre in Farbe (Foto: Archiv Wolf Scheidt)

Wie war die Situation in Suhl Anfang der Achtziger Jahre? Wann gab es dort die ersten Punks und wie wurdest du davon infiziert?

Anfang der Achtziger gab es noch gar keine in Suhl. Das erste Mal habe ich Punks dort 1983 im Zentrum Warenhaus gesehen. Ich habe damals einen Ferienjob als Tellerwäscher gemacht. Bei einem von ihnen stand auf dem T-Shirt Virus X und sie hatten lange Fingernägel. Ich dachte: „Cool, Punks in Suhl.“ In dieser Zeit kannte ich aber schon Leute wie Silvia Bauch aus dem Suhler Montagskreis. Sie hatte eine große Wohnung. Bei ihr verkehrten viele Künstler und Leute, die in den Westen wollten. Bei ihr habe ich Tommi kennengelernt. Ihn habe ich angesprochen, ob er die Leute kennen würde, die ich gesehen hatte. Er erzählte, dass das Steffen Schimmel aus Zella-Mehlis, Ameise aus Sondershausen und Markus Mathyl aus Rostock waren. Schimmel und Ameise waren damals interessiert an Insekten und Biologie. Also eher Ökofreaks. Anstatt den üblichen Punkklamotten trugen sie Fellwesten und Ohrringe aus Knochen. Tommi und Schimmel waren in Suhl und Zella-Mehlis die ersten, die als Punk rumliefen. Ich war damals noch eingefleischter Udo Lindenberg Fan. Ich sah auch so aus. Tommi hat mich dann Stück für Stück zum Punk transformiert. Er meinte: „Schneid dir mal die Haare.“ Also habe ich mir eine Igelfrisur machen lassen, hatte aber hinten noch so einen Vokuhila-Ansatz. Das musste für Tommi natürlich auch noch weg, genau wie mein Pubertätsbartflaum. So fing das an.

Wie hat dein Elternhaus auf die Umwandlung zum Punk reagiert?

Das ging schon heftig zur Sache. Als Tommi mit seiner Freundin zum ersten Mal bei mir zuhause geklingelt haben, durften sie gar nicht erst rein. Tommi hatte einen Iro und seine Freundin hatte sich eine Hälfte abrasiert. Mein Stiefvater war Direktor in einem großen Betrieb und in der SED. Das war alles hochproblematisch. Als meine Freundin aus Sondershausen auch nicht mehr zu mir kommen durfte, bin ich ausgezogen. Ich hatte dann ein Zimmer in der großen Wohnung von Silvia Bauch. In der Wohnung wurden immer auch alle Gäste, die uns in Suhl besuchten, untergebracht. Irgendwann kam Tommi dann mit der Idee, dass wir eine Band gründen müssten. Wir beide konnten uns irgendwie von Anfang an gut leiden.

Fete zu Wolfs neunzehntem Geburtstag in Silvias Wohnung (Foto: Wolf Scheidt)
ehemaliges Ausweisbild (Foto: Archiv Wolf Scheidt)

Wie kam es zu dem Bandnamen?

Der Name ist eine Anspielung auf Tommis damalige Freundin. Diese Doppeldeutigkeit mit Auslauf sollte es haben. Bald kam Fetzer und hat den Bass übernommen. Er heißt mit Vornamen Andreas. Also passte es auch.

Wann kam es zum ersten Auftritt?

1985 in einer Kirche in Suhl haben wir zu ersten Mal live gespielt. Zusammen mit MOfN aus Weimar. Die haben uns als neue Band aber überhaupt nicht akzeptiert und heftig gemobbt. Ich war furchtbar nervös. Das erste Konzert war für mich daher wie ein Spießrutenlauf.  Bei den nächsten Konzerten im Herbst und Winter 1985 kamen wir aber sehr gut an, ganz anders als bei unserem ersten Konzert.

Andreas Auslauf live (Foto: Wolf Scheidt)

Das klingt, als ob Ihr schnell Kontakte geknüpft habt und mit der Band viel unterwegs wart.

gemeinsame Wanderung mit den Berlinern (Foto: Archiv Wolf Scheidt)

Tommi hatte vorher schon gute Kontakte zu den Erfurtern und den Sondershausern. Er war sehr umtriebig. Die Weimarer kamen auch immer mal zu Besuch zu uns. Die Berliner haben wir erst in Halle kennengelernt. Also Jana und Micha von Namenlos. Die beiden waren gerade frisch aus dem Knast raus und wir haben da den Song „Nazis wieder in Ostberlin“ von ihnen gecovert. Wir hatten uns dabei gar nichts gedacht. Aber darüber kamen wir ins Gespräch.

Die Berliner kamen dann oft nach Suhl und wir haben Rennsteigtouren zusammen gemacht. Erst eine Wanderung, dann Klöße essen und Biertrinken. Wir sind natürlich auch nach Berlin gefahren. Der richtige Durchbruch kam 1985 in Jena. Da sind alle hingefahren. Das war richtig geil dort. In Karl-Marx-Stadt und Rudolstadt haben wir auch gespielt und natürlich mehrfach in Berlin. In Leipzig sollten wir mal spielen. Aber da sind Fetzer und ich am Bahnhof weggefangen worden. Ich erinnere mich noch an Hartroda. Dort gab es diese WG auf einem verfallenen Bauernhof, bestehend aus behinderten- und nicht behinderten Leuten, die sich selbst verwalteten. Eine Art Landkommune. Wenn man in Hartroda war, hatte man das Gefühl, nicht mehr in der DDR zu sein, sondern an einem besonderen utopischen Ort. In der Scheune fanden Konzerte und Veranstaltungen statt und wir haben alle auf dem Dachboden geschlafen.

Woher kanntet Ihr Hartroda?

Das weiß ich gar nicht mehr so richtig. Wir hatten einfach eine Einladung bekommen. Man wusste gar nicht, wie man dahin kommen soll. Irgendwie von Gera übers Land. Jörn und Ina von Grabnoct habe ich da beispielsweise kennengelernt. Die Berliner hatten damals die Art sich mit „Spast“ zu beschimpfen. „Ey du Spast!“ Darüber hatten wir dann eine Diskussion, so nach dem Motto „Wieso du Spast? Wir sind hier umgeben von Behinderten. Warum benutzt du das denn jetzt als Schimpfwort?“ Solche Gespräche fanden dann dort statt. Hartroda wird meiner Meinung nach heute viel zu wenig erwähnt.

gemeinsame Übernachtung auf dem Dachboden in Hartroda, März 1986 (Foto: Archiv Maik Reichenbach)

Ich kann mir vorstellen, dass eure Aktivitäten auch der Stasi nicht verborgen blieben.

Ich war ja im Montagskreis. Das war alles politisch ausgerichtet und sowieso überwacht. Es lief von Anfang an. Wir haben dort Themenabende gemacht, über Anarchie oder Umweltschutz. Wolle, der dortige Diakon, war auch anarchomäßig angehaucht . Mit der Band gab es natürlich auch Vorladungen, beispielsweise wo wir zum „Kirchentag Von Unten“ 1987 in Berlin spielen sollten. Das wurde uns verboten. Lorenz Postler, ein Diakon in Berlin, hat uns daraufhin eine offizielle Einladung geschrieben und wir sind natürlich trotzdem gefahren. Meine Stasiakten habe ich erst 2005 eingesehen. Ich hatte vorher schon gehört, dass unser Bassist bei der Stasi war und ihn vor meiner Akteneinsicht darauf angesprochen. Er hat mir gegenüber alles abgestritten. Ich war dann doch unsicher, aber aus den Akten geht eindeutig hervor, dass Fetzer IMS „Rudolf Klein“ war. Irgendwann hatte er auch Geld. Davon hat er sich irgendwelche Sachen gekauft. Das war wohl der Judaslohn. 50 Mark.

Konzert mit Schleimkeim im Johannes Lang Haus in Erfurt am 11.1.86 (Foto: Substitut)

1987 habt Ihr das Demo aufgenommen. Kannst du erzählen, wie Ihr das gemacht habt?

Der Tontechniker von Knautschzone hat uns in deren Proberaum gelassen. Verstärker, Effektgeräte und Mikros durften wir alles benutzen. Knautschzone durfte das aber natürlich nicht wissen. Einer von denen war auch bei der Stasi (IMS „Sven König“). Über den Mixer dort haben wir das direkt ins Kassettendeck eingespielt. Tommi kannte einen Grafiker. Ich glaube, er war Student in Halle. Der hat uns das Cover gemalt und ein bekannter Fotograf hat uns die Grafik auf dünnes Fotopapier reproduziert. Das war der Kassetteneinleger. Die Tapes haben wir komplett an Freunde verschenkt. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele es waren. Vielleicht zwanzig, höchstens fünfzig.

Hast du eine besondere Erinnerung an ein Konzert von euch?

Ein Konzert in der Hauptkirche in Suhl mit den Erfurtern und Weimarern ist mir im Gedächtnis geblieben. Die Berliner waren auch da. Als Band haben aber nur wir gespielt. Einige Erfurter und Weimarer waren plötzlich Skins geworden. Das wussten wir aber vorher nicht. Wir holten sie vom Bahnhof ab und dachten, uns trifft der Schlag, als wir sie sahen. Die waren total aggro drauf und die Stimmung war von Anfang an aufgeladen. In der Kirche gab es einen Raum, der für die Junge Gemeinde bestimmt war. Eigentlich war das nur eine umgebaute Empore, wo Fenster eingezogen waren. Als wir mit Spielen anfingen, begann der Pogo. Plötzlich bin ich wie bei einem Erdbeben circa zwanzig Zentimeter abgehoben und die Decke hat sich aufgeschwungen. Wir haben sofort abgebrochen und haben eine Etage tiefer nachgeschaut. Dort war die komplette Stuckdecke heruntergebrochen. Natürlich konnten wir nicht weiterspielen, was zu noch mehr Stunk führte, und am Ende in einer Schlägerei endete. Die ganze Geschichte war sehr unschön. (In einer Stasiakte wird der Schaden auf 10.000 Mark beziffert)

Konzert in Suhl ca. 85/86 (Fotos: Wolf Scheidt)

Ich habe das schon mehrfach gehört, dass in Thüringen plötzlich so aggressive Skins aufgetaucht sind. Hast du eine Erklärung dafür, warum?

Eine ganze Zeit gab es eine friedliche Koexistenz zwischen Punks und Skins. Da gibt’s eine schöne Geschichte, die mir Lord aus Berlin mal erzählt hat. Und zwar wie Otze von Schleimkeim Karo aus Weimar, der damals sehr schnell Skin geworden ist, den Unterschied zwischen Punks und Skins erklärt hat: Otze hat eine Zigarette angezündet und sie auf seinem Lederjackenärmel ausgedrückt. Nichts ist passiert. „Punks“, meinte Otze. „Und jetzt pass auf: Skinheads…“, und drückt die Zigarette auf Karos Bomberjackenärmel aus. Ein riesen Brandloch. „Siehste: Skinheads! Scheiße!“ (Alle Anwesenden lachen) Nee im Ernst, also einige hatten sichtlich Minderwertigkeitskomplexe. Die haben trainiert und Bergsteigen gemacht. Einige waren der Meinung, Punks sind Loser und man muss eben Gewinner sein. Für andere war Punk einfach nicht mehr extrem genug. Zu viele Mitläufer. Und in der DDR konnte nichts so sehr schocken wie Faschismus.

1987 hat sich Andreas Auslauf aufgelöst. Was war der Grund dafür?

Ich wollte nach Berlin ziehen und Tommi wollte mit seinem Vetter Lanni weiter Musik machen. Mein Eindruck war, dass Tommi sich vom Punk distanzieren wollte. Ich hatte dann etwas später in Berlin ähnliche Gefühle. Bei Tommis späteren  Andreas Auslauf Texten hört man ja auch, dass er sich da mit anderem als den typischen Punkthemen befasst. Sie sind anders als die frühen Songs. Dazu kam auch Friedberg Koch als Geiger, welcher der Musik noch eine weitere Farbe gab. Er kam aus der Jungen Gemeinde und war eher ein Langhaariger. Ich weiß gar nicht mehr, wie Tommi auf ihn kam. Und ich habe mich immer mehr radikalisiert. Natürlich vom Aussehen her, aber auch in der Konsequenz diesen politischen Weg gegen den Staat zu gehen. Das hieß für mich, nicht mehr in einem staatlichen Betrieb arbeiten zu wollen, sondern bei der Kirche für wenig Geld als Hilfsarbeiter und auch den Wehrdienst zu verweigern. Daher hatte ich mich in Berlin bei der Samariterkirche, wo Rainer Eppelmann Pfarrer war, als Hausmeister und Heizer beworben. Als ich die Stelle bekam, zog ich 1987 von Suhl nach Friedrichshain in eine Dienstwohnung.

Was hast du in Berlin, außer deinem neuen Job gemacht?

Anfangs hing ich viel mit den Köpenickern zusammen, auch im Alösakeller war ich. Dort haben wir auch das erste Frühlingsfest organisiert. In den Räumen der Samariterkirche haben wir dann die KVU (Kirche von Unten) gegründet. Das fand Eppelmann gar nicht gut. Und es gab in der Simon-Dach- Straße in Friedrichshain besetzte Häuser. Dort fanden Hausgemeinschaftsfeste statt. Jörn von Antitrott hat auch gleich um die Ecke gewohnt. Bei den Hausgemeinschaftsfesten gab es ganz spektakuläre Konzerte auf dem Dachboden. Ich erinnere mich noch an Grabnoct. Auf dem Hof gab es Akrobatik und alle Türen waren offen. Eine riesige Party im ganzen Haus. Mit dem Fall der Mauer hat sich leider viel aufgelöst. Große Freundeskreise sind kleiner geworden. Vieles war eben doch mehr eine Zweckgemeinschaft, weil man dagegen war. Ich persönlich hatte schon etwas vorher angefangen, in einer Theatergruppe mitzuarbeiten. Wir haben in der Wohnung der Regisseurin geprobt. Dann kam die Wende. Dieses Thema ist natürlich mit in das Stück eingeflossen. Aufgeführt haben wir es in der Spielstätte der Gruppe Zinnober (Knaackstraße 45 im Prenzlauer Berg). Das war damals das erste freie Theater in Ostberlin.

Hast du musikalisch nach Andreas Auslauf weitergemacht?

Kurzzeitig bin ich bei Wartburgs für Walter als zweiter Gitarrist eingestiegen. Das hat aber für die musikalische Qualität nicht viel gebracht. Eine ganze Weile habe ich dann nur für mich gespielt. Musik hat mich nie ganz losgelassen. Aber bei Andreas Auslauf war Tommi der musikalische Kopf. Er hat die Texte und auch die Melodien gemacht. So musste ich das erst richtig für mich entdecken. Später habe ich noch einmal richtig Gitarre gelernt. Erst E-Gitarre, dann klassisch. Irgendwann fragte mich Jörn, ob ich bei ihm in die Band mit einsteigen wolle. Das war eine Coverband, vor allem frühe Punkrockstücke von Wipers und Ramones. Da habe ich mich noch einmal richtig damit beschäftigt. Später hatte ich noch ein Bandprojekt „The Wateremen“ mit eigenen, eher beschaulichen ruhigen Songs und Texten.

Wolf an der Gitarre (Foto: Wolf Scheidt)

Wenn du die Zeit von Andreas Auslauf reflektierst, was hast du daraus mitgenommen?

Eine bestimmte Haltung dem Leben gegenüber. Also eine gewisse Art von Courage, sein eigenes Ding zu machen. Wir haben in dieser Diktatur gelebt und uns dieser widersetzt. Das ist eine ganz prägende Erfahrung für die Persönlichkeit, denke ich. Das hat positive wie auch negative Seiten.