„Hat sich Ihr Hausbesitzer schon gemeldet?“

„Hat sich Ihr Hausbesitzer schon gemeldet?“ Diese auf eine Mauer gesprühte Frage gehörte in den Neunzigern über Jahre zum Bild von Connewitz, wenn man in die Fritz-Austel-/Bornaische Straße einbog. Der Spruch war etwas ambivalent, passte nicht so richtig ins Connewitz der damaligen Zeit, mit den Naziüberfällen, mit den Polizeischarmützeln in den Novembernächten 1992, mit den Autoklau-Crashkids, die sich in Häusern festgesetzt hatten oder dem Assi-Punk-Charme um den Besetzerbrennpunkt Stöckartstraße.

Besprühte Wand auf der Bornaischen Straße Anfang der 90er Jahre (Foto: Christoph Motzer)

Während Anti-Nazi-Sprüche die frisch gebackene, neu-bundesdeutsche Gesellschaft aus dem Dornröschenschlaf rütteln und auf den Neofaschismus aufmerksam machen sollten, prangerten Kampagnen linker Leipziger Gruppen einen „nunmehr weltweit ausufernden Kapitalismus“ an. Die ersten Hip Hopper versuchten sich über das obligatorische „SNOW“ hinaus an Connewitzer Wänden, vorrangig erwünscht an denen des Conne Island.  Oder es beglückten innerhalb weniger Wochen Künstler in einer Art Erweckungserlebnis die ganze Stadt, inklusive Connewitz, mit einer wie neu entdeckten Schablonensprühkunst. Gern erinnert ist auch das flächendeckend über Connewitz gesprayte „Romanes eunt domus“, eine auf den Stadtteil umgemünzte Hommage an den Hintersinn des Filmes „Das Leben des Brain“, der in den Wirren um 1989 für viele Betroffene eine Renaissance erlebte. Am heiligen Schrein der Revolution, der Nikolaikirche, prangte als verspätetes Wort zum Montag neben dem Willkommensgruß „offen für alle“ ein gespraytes „Gott ist tot“.

Schablonensprühkunst in Connewitz
Römer in Connewitz (Foto: Ray Schneider)
Neben dem Eingang der Nikolaikirche in der Innenstadt (Foto: Ray Schneider)

Der Hamburger Wohlfahrtsausschuss hatte ebenfalls in dieser Zeit auf seiner Ostdeutschland-Unterstützungstour die Stadt im Alleingang mit künstlerisch verschwurbelten und bürgeruntauglichen Anti-Nazi-und Anti-Rassismus-Plakaten zugekleistert. Und auf einer Soli-Antifa-Demo durch westdeutsche Antifas mit der derzeit noch widerstandsunfähigen kleinen Leipziger Szene, war die ganze Innenstadt aus einer waschechten, stringent durchgezogenen Samstagmittag-Autonomendemo mit antiimperialistischen Parolen verziert worden, deren Parolen zwar jeder gelernte DDR- Bürger verstand, aber gerade ganz andere Sorgen hatte…

Der „Hausbesitzer“-Spruch an der Wand am Wiedebachplatz passte hingegen eher ins Jammer-Repertoire der wiederauflebenden Montagsdemonstrationen in der Innenstadt. Dort trafen sich die in der Marktwirtschaft erwachten Verlierer der Einheit, die nunmehr gegen den Ausverkauf der DDR, gegen Arbeitsplatzsterben, Verarmung usw. zu protestieren begannen. Plötzlich ging es nicht mehr um die kleinen Freiheiten wie Sat-Schüssel, Videorecorder, Westauto oder Kaffeefahrt an den Gardasee, sondern der Arbeitsplatz  wurde von einer West-Firma übernommen, Immobilien von der Treuhand verscherbelt oder es drohte eben der Verlust der Wohnung, des Grundstücks oder des Hauses, auf welches nun irgendwelche unbekannten Eigentümer oder deren Rechtsanwälte Anspruch erhoben. „Hat sich Ihr Hausbesitzer schon gemeldet?“, das war die „Purge“-mäßige Horrorversion, vor der sich die Leute fürchteten, ob berechtigt oder nicht, es war die Frage der Zeit.

Nach einer Demonstration von Ost- und Westdeutschen linken in der Leipziger Innenstadt (Foto: Christoph Motzer)

Während in DDR-Zeiten Grund und Boden im Prinzip nichts wert waren, Eigentum Unannehmlichkeiten, Kosten und die staatliche Diffamierung als „Kapitalist“ bedeutete, war die Eigentumsfrage „Wem gehört was?“ 1990 das große Ding. Die meisten Restitutionsansprüche richteten sich auch nicht auf DDR-Betriebe, sondern auf privat genutzte Grundstücke. Da keine Kommune Geld hatte, schon gar kein Westgeld, galt das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“. „Wem gehört der Osten?“, diese Frage wurde plötzlich überall gestellt, als 1990/91/92 westdeutsche Unternehmer, Politiker, Rechtsanwälte oder Parteien überall die Führung übernahmen. Das Graffiti „Hat sich Ihr Hausbesitzer schon gemeldet?“ war ungefähr seit 1991 in Connewitz zu lesen, in einer Phase, in der diese Bedrohung noch nicht flächendeckend wahrgenommen wurde. Ein gleichlautendes Graffiti hatte man übrigens auch an eine Hauptstraßenwand in der Georg-Schumann-Straße in Gohlis gesprüht. Der Oktober-Kreuzer 2020 taucht da etwas in seinem Leitartikel „1990, als die Revolution unterging“ in diese Zeit ein, eher allgemein natürlich. Das Problem mit den aggressiv ihr-altes-Eigentum-zurückverlangenden Vorbesitzern hatten vor allem die Connewitzer Hausbesetzer auf dem Tisch, denn diese sahen sich schon frühzeitig mit den Vor-DDR-Ansprüchen der ehemals enteigneten Hausbesitzer konfrontiert. Auch wenn dabei viel Zeit verstrich, bis die Ansprüche über die Gerichte rechtskräftig geltend gemacht werden konnten, war dieser Fakt doch eine beliebte Drohung bei den Verhandlungen der städtischen Behörden mit der Hausbesetzerszene.

Antwort auf die Räumungsandrohung an der Auerbachstraße

Die Stadt wollte im vorauseilenden Gehorsam mit Sprücheklopfen und Drohungen eine schnelle und geräuschlose Räumung der Objekte erzielen. Da es nach einer Anti-Nazi-Demo im März 1992 am Bayrischen Bahnhof bis hinunter zum Wiedebachplatz zur Eskalation mit der Polizei kam und in der Stadtführung seitdem über Connewitz nur noch unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten diskutiert wurde, schickte man den damaligen Wohnungsamtsleiter Tschense vor, um mit den jugendlichen Besetzern das Problem „besetzte Häuser“ ergo „Alternatives Viertel Connewitz“ ergo „staatsgefährdende Hochburg des sächsischen Linksradikalismus“ wegzuverhandeln. Mit Angeboten wie „Knebelverträgen“ oder „Räumung“ versuchte der Wohnungsamtsleiter mit dem Innenministerium im Nacken (eine Arbeitsgruppe forschte in Connewitz nach Munitionslagern, Wehranlagen und Kontakten zur RAF) die Jugendlichen zur Aufgabe zu bewegen. Das Regierungspräsidium wiederum forderte ein Konzept gegen die Besetzungen und drohte der Stadt ansonsten mit Weisungen.

Nazisprüche zieren ebenfalls das Stadtbild (Foto: Ray Schneider)
Leipziger Innenstadt (Foto: Ray Schneider)

Dementsprechend verpflichtete sich die Stadtführung, fortan keine Besetzungen mehr zuzulassen (Leipziger Linie) und begann im Frühjahr 1993 mit der Räumung besetzter Häuser. Angebotene Ersatzhäuser durften sich nach Auflagen des Regierungspräsidiums nicht mehr in Connewitz befinden. Die gern vorgehaltenen Ansprüche von Vorbesitzern, erwiesen sich allesamt als hinfällig. Zwar gab es Gerüchte, dass jüdische Vorbesitzer den Eiskeller zurückverlangen würden, dass eine Klärung der Eigentumsverhältnisse des „Nessi“ in der Meusdorfer Straße bevorstehe, ebenso in der Auerbach 2 und anderen Objekten, in der Realität sah es aber immer so aus, dass die Häuser von ihrem Eigentümer LWB an Interessenten verkauft wurden. So das Nessi oder die Ernestistrasse an private Käufer, welche danach die Räumung der besetzten Häuser forcierten. Kulturprojekte wie das C.I. oder das Zoro lagen zwar in städtischer Hand, wurden aber wie in der Meusdorfer Straße vom Hotelier Schilling bedroht, der einen vorherigen Eckladen gekauft und zum Hotel umfunktioniert hatte. Dieser stellte innerhalb seines Privatkrieges gegen das Zoro eine Bürgerwehr auf, worauf die Stadt nichts Besseres zu verhandeln wusste, als dem Zoro ein Angebotsprofil abzuverlangen, zu dem „auch Hotelgäste dort abends mal hingehen…“

Foto: Ray Schneider
Foto: Ray Schneider

Während in unserem Buch „Haare auf Krawall“ die Urversion „Hat sich Ihr Hausbesitzer schon gemeldet?“ zu sehen ist, antworteten Leute später darunter mit „JA. Leider!“ und daraufhin: „Schlagt ihn tot“, oder mit „Mietwucher“. Der Spruch wurde auch einmal entfernt, kurze Zeit darauf allerdings wieder nachgesprüht. Die Wand war Objekt vieler Fotografen und findet sich in verschiedenen Versionen immer wieder veröffentlicht, zuletzt 2020 wohl in „Graubunt“ einem Fotoband von J. Hohmuth. Der Vollständigkeit halber seien hier auch noch andere Losungen erwähnt, die sich über die Jahre auf der Wand befanden, so: „Gleichgültigkeit ist das größte Verbrechen!“, worauf ein anderer Freund der Heiterkeit einen Joint danebensprayte mit dem Worten: „Mir egal…“ Später dann las man noch „RATS GET FAT, WHILE GOOD MAN DIE“, wohl einer depressiven Phase in der Besetzerszene geschuldet… Sicher gab es noch weitere Slogans, so dass die Wand schließlich irgendwann weg musste.