„Die Nazis in der DDR waren anders.“ – Interview mit Willie (Dezember 2019)

Meine Arbeitsstelle hat drei Büros in der Stadt. In allen steht Haare auf Krawall. Ich habe keines der Bücher angeschafft. Diese Tatsache zeigt mir aber, wie wichtig das Buch ist. Es ist spannend, wie ähnlich manches wieder geworden ist in der heutigen Zeit. Beispielsweise die Ängste vor einem Rechtsruck. Vor zehn Jahren war das schon einmal weniger, finde ich.

Willie Anfang der 90er Jahre (Foto: Archiv Ray Schneider)

Die Nazis in der DDR waren anders. Sie waren untereinander so gut wie gar nicht vernetzt. Der Hauptfeind war vor allem der Staat. Nationalsozialismus war eben der größte Kontrast, den es gegen die DDR gab. Ab November ’89 bei den Montagsdemos schwappten aus dem Westen dann die DVU-Leute und die Reps herein und brachten ihr ganzes Material mit. Das wurde ihnen reißend, mit riesigem Interesse abgenommen. Plötzlich gab es Schriften und Programme, wie ein Kampf aussehen kann und wie man sich strukturiert. In dieser Zeit war das eine blöde Situation. Der Staat war wie ein umgekippter Käfer, lag auf dem Rücken und wackelte noch ein bisschen mit den Beinen, über die Stasi wurde gelacht, beim neuen Forum passierte in den ersten zwei Jahren auch nicht viel und die Staatsmacht war auf der Straße völlig machtlos. Die Polizei wusste überhaupt nicht, was man in der neuen Freiheit darf und was nicht.

Nazis bei den Montagsdemos in Leipzig, Winter 89/90 (Foto: Archiv Ray Schneider)

Spätestens ab da hatten wir hier im Osten andere Nazis. Zwar waren es dieselben Leute, aber jetzt organisiert. Und sie hatten überall ihre Finger mit drin. Zuhälterei, Drogenhandel, Waffengeschäfte-  eben Verbindungen zum Milieu. Einige davon sind später wieder bei den Legida-Demos aufgetaucht. Mit Skinheads hatten die für mich nie etwas zu tun. Höchstens die Jacken. Aber was wirklich hinter dem Begriff steht, davon hatten die keine Ahnung. Mein Freundeskreis setzte sich aus vielen Punks zusammen. Ich war immer in dieser Szene mit drin.

Ab 1994 habe ich als Streetworker angefangen, in Grünau mit Nazis zu arbeiten. Bis heute ärgert mich das noch sehr, dass mich damals nie jemand aus der Szene auf meine Arbeit angesprochen hat. Aber ich merkte, wie der Abstand zu mir gewachsen ist. Mein Projekt ist in diversen Szenezeitschriften mit Falschbehauptungen aufgetaucht. Das hat mich sehr enttäuscht, denn ich kannte ja die Autoren. Warum haben sie mich nicht selbst gefragt? Natürlich war Grünau Naziverseucht. Aber die einzelnen Strukturen haben keinen interessiert. Die unterschiedlichen Projekte wurden gerne komplett in einen Topf geschmissen. Es gab auch mehrere Jugendhäuser in dem Stadtteil. Da war die Völkerfreundschaft mit dem Projekt 0816, wo ich gearbeitet habe, das Kirschberghaus, der Schulgarten und noch andere. Wir haben in der Völkerfreundschaft mit rechtsorientierten Jugendlichen gearbeitet.

Skinhead, aber kein Rassist - Leipziger Sharpskins bei einer Demonstration in Lübeck 1991 (Foto: Wirthi)

Richtige Nazis haben wir mit Hausverbot sofort rausgedrängt. Wenn mir da einer schräg kam, hab ich den rausgeschmissen. Klare Ansage! Nazibands wie „Odessa“ hatten vor meiner Zeit in der Völkerfreundschaft geprobt. Als klar wurde, wie die drauf sind, sind sie dort sofort rausgeflogen und waren dann ab 1995 im Kirschberghaus. Der Sozialarbeiter dort, ein Wessi, hat das nicht in den Griff gekriegt und nach außen gemauert. Das war die Hölle, weil die dadurch dort machen konnten, was sie wollten. Als rauskam, was da im Kirschberghaus los ist, haben alle anderen Projekte in Grünau ihre Zusammenarbeit damit verweigert.

In der Völkerfreundschaft haben wir es schließlich geschafft. So ab 1997 gingen da wieder vermehrt normale Jugendliche hin. Heute sind es eher Migranten. Ich arbeite immer noch in vielen Projekten gegen Nazis in Leipzig. An meinen Ansichten hat sich bei mir vom Kopf her nichts geändert.

Willie bei einem Konzert Anfang der 90er Jahre (Foto: Archiv Ray Schneider)