Auf den Dächern von Connewitz
Am Ende vom Buch „Haare auf Krawall“ finden sich ein paar Fotos aus Connewitz , die volle Wäscheleinen auf den Dächern von Altconnewitz zeigen, Campingstühle mit einem Kasten Saft daneben oder einen Dach-Spaziergänger von Haus zu Haus. Über diese romantischen Szenen hat die Connewitzer Verlagsbuchhandlung, bei der wir unser Buch ja erstveröffentlicht haben, gleich einen ganzen Bildband herausgebracht, sicher auch deshalb, weil ihr Gründer Peter Hinke einer der Bewohner der besetzten Stockartstraße war und seinen ersten Laden gegenüber der Stö in der Fritz Austel-/Bornaischen Straße hatte. Die Fotos, die wir für unser Buch über Folker aus der Besetzerszene bekommen haben, haben allerdings überhaupt nichts mit Romantik zu tun und die Dachszenen haben einen erschreckenden Hintergrund.
Billiger Luxus
Kurz zur Vorgeschichte: Bekanntlich herrschte in der DDR Wohnungsnot, nicht unbedingt, weil so viele Menschen geboren wurden, sondern weil Wohnraum in staatlicher Hand lag und für seine Erhaltung zu wenig getan wurde. In irgendeinem SED-Parteiprogramm wurde in den Siebzigern beschlossen, dass bis 1990 die Wohnungsfrage gelöst werden sollte. Das heißt, jeder Einwohner sollte ausreichend Wohnraum bekommen. In Plattenbauweise wurden in den Ballungsgebieten der DDR ganze Billigwohn-Satellitenstädte aus dem Boden gestampft. Neubauwohnungen mit Innen-WC, Fernheizung und ausreichend Zimmern galten als der Luxus der DDR-Werktätigen. Während Leute in die Neubauviertel zogen, verfielen die alten Wohnviertel. Überall gab es ganze Bezirke, sogar in der Innenstadt, die in der Planung abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden sollten. Eines dieser Viertel war Alt-Connewitz, welches leergewohnt auf seinen Abriss durch Stoßtrupps der Volksarmee wartete, die in der Wirtschaft aushalfen.
Das Faustrecht der Straße
1989/90 brach das SED-Gebäude mit seinen Planungen in sich zusammen. Es war für alle absehbar, dass die Karten neu gemischt werden würden. Um einen weiteren Abriss zu stoppen und Tatsachen zu schaffen, riefen Leute auf einem Reaktionskonzert zur Besetzung von Altconnewitz auf und gaben betreffende Hausnummern durch. So wurden Straßenzüge und Häuser geräuschlos bezogen und ein Leben entwickelte sich. Da Hausbesetzungen überall in den Stadtteilen vorkamen, jedoch durch Bürgerwehrmentalität und Neonaziüberfälle keinen Bestand hatten, konzentrierte sich das Besetzergeschehen auf den Stadtteil Connewitz. Neben Wohnprojekten wurden automatisch auch die leerstehenden Fabriken besetzt und zu Kultureinrichtungen im Eigenbetrieb umfunktioniert. Auch die Besitzverhältnisse der Immobilien waren völlig ungeklärt. Im Grunde gehörten die Häuser um diese Zeit niemandem und verfielen. Da die Sicherheitskräfte, die Politik und Stadtverwaltung zu dieser Zeit mehr mit sich selbst und ihre Selbsterneuerung zu tun hatten, sich nicht um die Vorgänge in der Stadt kümmerten, florierte das Leben und die Selbstorganisation in den besetzten Häusern.
Jedoch auch das Faustrecht der Straße, denn selbstberufene Tugendwächter initiierten auf eigene Faust Unternehmungen, um die Besetzer zu vertreiben, bzw. die Projekte zu zerstören. Neben organisierten Neonazigruppen waren es vor allem Hooligans und Discobesucher, die nach Fußballspielen oder des Nachts nach Connewitz hinauszogen, um die Häuser platt zu machen, Linke/Punks/Autonome auszuräuchern. Die entsprechende Stoßrichtung erhielten sie auch durch die neu entstandenen Medien, die nach westlichem Muster über die Vorgänge in Connewitz berichteten und dort den ostdeutschen Hort der autonomen, linksradikalen Staatsfeinde bis hin zur RAF ausmachten. Die neuen Sicherheitsorgane und die Geheimdienste nahmen dieses Schubladensystem aus den alten Bundesländern gern auf, und arbeiteten sich ebenfalls nach deren Strickmuster an den Connewitzern ab.
„Alles raus!“
De facto gab es in dieser Zeit eine Unmenge von Überfällen und Brandanschlägen auf einzelne Wohnungen, besetzte Häuser und Kultureinrichtungen. Nachdem sich die Opfer aus dem ganzen Stadtgebiet nach Connewitz zurückgezogen hatten, logischerweise dort. Anfänglich war die Stöckartstraße das Hauptangriffsziel. Dann gab es Bemühungen, die umliegenden besetzten Häuser, die alle selbstständig für sich Nachtwachen, Bereitschaftsdienste und eigene Verteidigungskonzepte umsetzten, untereinander zu organisieren, Streifen durchs Viertel zu organisieren, ein Warnsystem zu installieren (es gab ja noch keine Handys/Telefone), um sich bei Überfällen gegenseitig beizustehen. Im Buch „Haare auf Krawall“ wird ja von vielen Leuten berichtet, wie dies aussah, wie die Hauseingänge und Fenster gegen Molotowcocktails verbarrikadiert wurden usw. Beim Angriff selbst spielte sich die Verteidigung hauptsächlich auf den Dächern ab, auf denen dort deponierte Wurfgeschosse bereitlagen. Anfänglich bestanden die Besetzer ja aus Studenten, Ökos, Alternativen und ein paar Punkern, die alle mit Straßenkampf und Gewaltanwendung überhaupt nichts am Hut hatten. Die Situation brachte es dann mit sich, dass die Hausinsassen, nachdem die Munition von den Dächern geräumt worden war, die Verteidigung auf der Straße fortsetzten, auf das Kommando „Alles raus!“, die Angreifer auf der Straße gemeinsam und von allen verfolgt wurden. Dieses Konzept brachte die Connewitzer Szene derartig zusammen, dass es beim Polizeieinsatz am 27./28. November 1992 im Zoro zu einer derartigen Gegenwehr kam, dass es in allen Connewitzer Straßen zu Barrikadenbau und zur Verteidigung kam. Nach einer Sachbeschädigung war ein Punk von einer Polizistin mit einem Warnschuss niedergeschossen worden, es kursierte das Gerücht von einem Toten und dass Connewitz nunmehr in einer Polizeiaktion geräumt werden sollte. Im Folgenden kam es zu Scharmützeln mit der Polizei (200-400 Polizisten, 24 verletzte Polizisten, 42 Verhaftete) und Sachbeschädigungen, die Leipzig über die Jahre durch immer neu angefachte Diskussionen beschäftigten.
Unter den Dächern
Die Dächer von Connewitz, das war der Ort, von dem aus das alternative Connewitz anfänglich verteidigt wurde, verteidigt werden musste, weil es nicht anders ging. Die daraus entstandenen Diskussionen, Gerichtsverhandlungen, das Medienecho, die Angriffe von Verwaltung, der Stadtpolitik, den Sicherheitsorganen und andersherum die Kampagnen der Connewitzer, haben in Connewitz eine Szene entstehen lassen, die sich über die Jahre behauptet, aber auch immer wieder aus sich heraus erneuert hat. Ich erinnere mich an den Kampf der Connewitzer Alternative um ihre Häuser, an Projekte in Straßen wie die Ernesti, die Auerbach, Leopold, Meusdorfer…, an die Kämpfe ums Zoro, die Brauerei, das Conne Island, Distillery usw, die Großdemo gegen die Leipziger Linie von Lehmann-Grube, an den BesetzerInnenkongress 1995, die Weltfestspiele der Hausbesetzer 1998…
Die verfallenen Häuser unter unseren Dachfotos in „Haare auf Krawall“, das ist nicht das Connewitz oder die Stadt, wie sie heute ist. Und dies ist nicht das Verdienst der selbsternannten Säuberer mit Baseballschlägern, Pistolen und Molotowcocktails, die in Connewitz aufräumen wollten, auch nicht der Null-Toleranzpolitik einiger Leute aus dem Rathaus und auch nicht der Rollkommandos der Sicherheitskräfte, sondern derer, die Leben und Kultur dort erhalten, verteidigt und entwickelt haben.
Über den Autor
Wir haben 1986/87 die Hermannstr.6 besetzt. Die beiden oberen Wohnungen waren noch offiziell bewohnt, der Rest war besetzt. ABV hieß Fenner, hat hin und wieder Personalausweise kontrolliert, uns ansonsten gewähren lassen. Das Bier für diverse Feten haben wir im Eimer bei Frau Krause gekauft… .
@ Lackner
»Herrmannsloge« kenn‘ ick auch noch… Uns haben sie in der Göringstraße 85′ noch mit verhältnismäßig viel Tamtam geräumt… wurde wohl, ausgehend vom Prenzl’Berg, zunehmend lockerer gesehen.
Hauptsache die Stasi hatte die Übersicht…
Hallo,
ich bin einer der Gründer und Betreiber des K. O. BackWahn (1990 – 91) und das Foto vom ausgeräucherten Laden anzuschauen tut immer noch weh.
K. O. stand übrigens für KulturObjekt – weil wir die Auflagen für das Eröffnen eines Cafés nicht erfüllen konnten und wollten, haben wir ggü. Behörden einfach von einem Kulturtreff bzw. eben Kulturobjekt gesprochen.
Eine Motivation zum Eröffnen des Ladens waren die coolen Westberliner Szenecafés, in denen wir seit Mauerfall ständig abhingen und unsere Genervtheit, dass es 1990 sowas in Leipzig nicht gab (nur so Oma-Cafés im typischen DDR-Design).
Sowas schickes wie Milchkaffee gab es übrigens im BackWahn nie (nur 2 einfache Haushaltskaffeemaschinen für Filterkaffee), aber dafür jede Menge gute Musik, interessante Menschen, gute Gespräche und Aufbruchsstimmung ohne Ende!
Es war eine wilde und aufregende Zeit, die ein wichtiger Teil meines Lebens war und immer bleiben wird.
CJ
Hey CJ,
vielen Dank für die geschilderten Eindrücke und deine wertvolle Ergänzung!
Herzliche Grüße