Goldene Zitronen zur Messe
Am 02.09.1989 ist in der Leipziger Stasibehörde endlich mal wieder was los. Vor dem Gebäude der Kieler Straße 55 wurde ein orangefarbener VW-Transporter mit Hamburger Kennzeichen gesichtet! Nun, es ist Messezeit. Für Leute aus der BRD gibt es die Möglichkeit durch die Messeausweise schneller und einfacher ein Visum für die DDR zu bekommen, um mal in den Osten zu fahren. Aber im Hinterhof der Mockauer Kieler Straße 55 hausen die „Negativ Dekadenten – die Panker“ in der Offenen Arbeit. Schon einige Male hatten sich daher furchtlose Zivilbeamte in Sorge um die Sicherheit des Objektes von hinten durch unwegsames Gelände ans Ziel angepirscht, um einen Blick durch die beiden kleinen Kellerfenster zu erhaschen. Berichten konnten sie stets Unheimliches: Jugendliche beim Biertrinken, Musikhören und Billardspielen.
Mit dem Lada nach Mockau
Schnell machen sich die Genossen nun auf den Weg. Gegenüber des Eingangs zum „Mockauer Keller“, wie der Treffpunkt von den Jugendlichen genannt wird, legen sie sich auf die Lauer, fahren das gute Teleobjektiv aus und fotografieren jeden, der in die Nähe des Eingangs kommt. Ganze 75 Bilder werden geschossen. Ein ganzes schönes Familienalbum voll. Auf dem einen reden Conny, Eddie und Porno miteinander, da sieht man die Leute von L’Art de Blamage, Paul kommt in Begleitung angeschlendert, Mayer und Roman vom Schwarzen Kanal lachen. Eine Auswertung der gemachten Filme findet sich in den Akten nicht. Entweder ist sie verschollen gegangen oder die Freunde von der Sicherheit hatten im September 89 plötzlich andere Probleme. Da Busenfreund IMS „Dominique“ seit Frühjahr 89 im Westen war, konnte man vermutlich auch keinen mehr so einfach fragen.
Hätte es aber eine Auswertung gegeben, hätten die Genossen von einem absoluten Highlight der Leipziger Untergrundkultur erfahren. Fotografiert hatten sie nämlich auch die Hamburger Punkband „Die Goldenen Zitronen“. Lisa hatte Kontakt zu ihnen aufgenommen und sie nach Leipzig eingeladen. Und sie waren gekommen. Die Musik der Band war in dieser Zeit der Partykracher schlechthin auf Feiern. Umso konspirativer verliefen die Vorbereitungen zum Konzert, um den Keller nicht komplett zu überfüllen. Neben den Zitronen spielten an diesem Tag noch die Jigs aus Potsdam und L’Art de Blamage aus Leipzig im Keller. Selbst wenn der Sound durch die Anlage unterirdisch war, wackelten im völlig überfüllten Keller durch den Pogo die Wände. Keine Chance in der Enge noch Bier zu trinken. Die Zitronen spielten auf den Instrumenten Leipziger Musiker und der Sänger bekam Stromschläge, sobald er das Mikro berührte, da dieses nicht geerdet war. Für die Übernachtung wurde die Band mit ihrem mitgereisten Anhang über die privaten Wohnungen der Konzertbesucher verteilt. Am nächsten Tag besuchten alle noch einmal das Völkerschlachtdenkmal und dann ging es mit dem Transporter zurück Richtung Westen.
Auf Besuch in der Messestadt
Für Subkultur waren die Grenzen immer durchlässig. In Ostberlin waren die Toten Hosen schon 1983 das erste Mal durch die Mauer geschlüpft, um in Berlin ein Konzert zu geben. Es folgten Bands wie R.A.F.Gier, The Rest und die Waltons. In Leipzig pflegte L’Attentat regen Austausch mit Westfanzines und Gruppen. Bereits 1986 kamen EA 80 aus Mönchengladbach auf Besuch in die Messestadt. Da es im Mockauer Keller aber gerade einmal wieder Stunk mit der Gemeinde gab, spielten sie kurzerhand vor 25 Leuten im Proberaum von L’Attentat, einem Keller in der Funkenburgstraße. 1988 waren es die Aggressiven Stuhlbeine aus Kappeln, die im Gemeindesaal von Markleeberg neben Re-Aktion aus Potsdam und den fanatischen Frisören aus Eisenach den Ofen zum Einsturz brachten. Im September 1989 kamen dann endlich die goldenen Zitronen. Keine 3 Monate später findet in Leipzig das erste „Aktion Jetzt!“-Konzert statt. Ab der dritten Veranstaltung umbenannt in „Reaktion“, geben sich auf den Leipziger Bühnen bald internationale Punk- und Hardcorebands die Klinke in die Hand. Ein Transporter mit Hamburger Kennzeichen holt bald keinen mehr hinter das Teleobjektiv. Und das ist gut so.
Einen Mitschnitt des Zitronenkonzertes im Mockauer Keller gibt es leider nicht. Nur einen Konzertbericht in einem Leipziger Fanzine, ein paar wenige Fotos und die Erinnerung derer, die dabei gewesen sind. Für die meisten ist der Abend bis heute in Erinnerung geblieben. Umso sensationeller war es, als bei den Recherchen für die Neuauflage von „Haare auf Krawall“ in der BStU Leipzig die Überwachungsfotos der seit 30 Jahren aufgelösten Stasi auftauchten. Bleibt nur noch mit den Worten der Zitronen zu schließen: „Für immer Punk“.
Über den Autor
Da hat die Stasi ungewollt quasi Zeitgeschichte dokumentiert^^
Ein Argument gegen Kammeras im öffentliichen Raum ist ja,
daß die Leute sich nicht mehr ungezwungen bewegen.
diese ausgefuxten Trottel aber auch XD
zudem Freude über das Bonusmaterial, hab damals erst hinterher erfahren vom Konzert 🙂