Rattenjagd

Das Foto, um welches es im Folgenden geht, ist in der Neuauflage des  Buches „Haare auf Krawall“ auf Seite 141 abgedruckt und illustriert das Kapitel von Connie „Wir wollten etwas ändern und wir wollten an uns was ändern…“. Dieses Kapitel beginnt mit einer Kurzbeschreibung des Mockauer Kellers und seiner Protagonisten. Es führt in die Zeit der Umbrüche und Veränderungen von 1989, wie die Leute aus diesem Kreis die Ereignisse auf den Straßen Leipzigs erlebten und durch ihr eigenes Verhalten mitgestalteten, ein.  Die Aufnahme stammt aus einer Serie von Fotos, die eine Veranstaltung des damals in Eigeninitiative betriebenen Mittwochscafès  dokumentiert. Es wurde aufgenommen  Anfang 1989, direkt im hinteren Raum des Kellers, der ansonsten für Konzerte oder Discos genutzt wurde. Selten gut beschreibt das Bild die Enge des Kellerraumes, zeigt einen Teil des damaligen Stammpublikums, welches sich an die Wände drängt und in der Mitte einen schmalen Freiraum lässt. Hier würde gleich eine Theatergruppe ein Stück aufführen, ein Stück, bei dem die Fetzen fliegen und Personen zwischen Liebe und Hass herumgewirbelt werden würden.

Gespanntes Warten auf die Aufführung im Mockauer Keller. (Foto: Frank Scarbata)

Der Fotograf Frank Scarbata war einer der in etwa gleichaltrigen Leute aus dem Kreis des Mockauer Kellers, der sich wie ein, zwei, drei andere durch sein Hobby zum Fotografen inmitten und direkt aus der Szene entwickelt hatte. Jener Leute, die sich neben einer tauglichen Kamera auch einen Verschlag in ihrer Wohnung mit einer kleinen Dunkelkammer zugelegt hatten, wo sie in Plastikschalen ihre eigenen Fotos schwenkten, die nunmehr über die Jahre in unzähligen Schubladen der damaligen Aktiven die Zeiten überdauern. Das Fotografieren stand in der DDR natürlich jedem offen, es gab Kameras, es gab Filme, aber manche Fotos brachte man lieber nicht zum Entwickeln in eines der PGH- Fotofachgeschäfte, denn mal wurde die Entwicklung der einzelnen Negative zensiert, oder der Film ging verloren, oder die Preisgabe der privaten Fotoinhalte und der Kundendaten kam einer anderen Behörde zugute. Frank war bei allen Ereignissen im Keller und den Aktivitäten der Leute mit seiner Kamera dabei, nicht nur als Fotograf, sondern als Teilnehmer, der seine eigene Begeisterung für die Sachen dabei einfing. In seiner Wohnung in Gohlis hat er die Fotos entwickelt, die wir in „Haare auf Krawall“ benutzt haben.

Das Foto entstand am Abend des 1. März 1989 im Mockauer Keller,  als eine Art Kulturzugabe des Mittwochscafès, welches wir in dieser Zeit mit relativ großer Ernsthaftigkeit betrieben.  Anfang 1989 war die Welt um uns zunehmend in Bewegung geraten, im Land gab es überall Gruppen und Aktionen gegen das stalinistische DDR- System. Mit Gorbatschows Abrüstungsinitiativen  entspannte sich über Nacht das Verhältnis zum Westen, das Feindbild der greisen Führungseliten der Partei verschob sich zunehmend in Richtung Sozialismusreformer und Gorbatschowunterstützer – und das überall im Ostblock. Im Januar gab es Proteste mit Straßenschlachten auf dem Wenzelsplatz, die Rote Bruder- Armee verließ de facto als Verlierer Afghanistan, in Jugoslawien gab es Unruhen wegen Autonomiebestrebungen der Teilrepubliken gegenüber der Zentralregierung in Belgrad, in Polen wurde die Solidarnosc wieder zugelassen und das Land bereitete sich auf die ersten freien Wahlen vor. Ungarn begann seine Dissidenten vom Volksaufstand 1956 zu rehabilitieren und stellte seine Grenzanlagen zu Österreich in Frage. Krampfhaft versuchte die DDR- Führung den Konsumbedürfnissen der Bevölkerung nachzukommen, um die Menschen im Land zu halten, organisierte Konzerte mit Westkünstlern, peppte Jugendradio, – Fernsehen- und Zeitschriften pseudowestlich auf. Jugendbewegungen wie die der Punks und Grufties wurden als Modewelle toleriert und konnten sich in diesem entpolitisierten Rahmen legal entfalten. Trotzdem riss die Fluchtwelle nicht ab, hatte die Bevölkerung es flächendeckend satt mit ihrer realsozialistischen Heimat.  Es war klar, dass sich etwas ändern würde in der DDR, entweder zum Besseren oder in der Konfrontation.

Der Treff im Mockauer Keller hatte sich als zwar kleine, aber feste Größe der Undergroundaktivitäten in Leipzig etabliert. Aus den anfänglich noch auf Distanz gehenden Gruppen der Punks, der Jungen Gemeinde- Mitglieder und der Kirchenleute war ein buntes Gemenge zusammengewachsen, das gemeinsam beschlossen hatte, in Eigenverantwortung dieses offene Mittwochscafè als Treffpunkt für Interessierte und Oppositionelle fest zu installieren. Der Sozialdiakon Thorsten Falk, der dabei scheinbar nichts weiter zu tun hatte, aber offiziell vor seiner Kirchenleitung seinen Kopf hinhalten musste, hatte vor Zeiten sogar versucht, die heranwachsenden Bomberjacken- Kids aus dem Neubaugebiet Mockau/ Schönefeld ins Cafe und damit seiner/unserer Einflusssphäre zuzulotsen, was ihm für einige Minuten auch gelang, bis sich die argwöhnisch beäugenden Fronten im Keller derartig unwohl fühlten, dass die Jungnazifraktion das Weite suchte und ihre Entwicklung zum Ausländerlyncher im realsozialistischen Neubaugebiet erfolgreich fortsetzte. 

Nur für den Innerkirchlichen Gebrauch. "Flyer" des Mockauer Kellers 1988 (Archiv Ray Schneider)

Diese Mittwochstreffs, das hatten wir intern beschlossen, sollten nicht mehr nur ein Treff sein zum Abhängen, sondern es sollten dort konkrete Aktivitäten stattfinden, die zum einen uns als Gruppe formen, Interessierte anziehen und nach außen ins politische Geschehen vor der Tür eingreifen sollten. Wir luden also Leute ein, oder es fanden sich Personen aus unseren eigenen Reihen, die Vorträge hielten, z.B. über Antifaarbeit (22.2.1989- Antinaziliga Potsdam), DDR- Recht (29.3.1989), das Tagebauproblem mit dem Dörfersterben (15.3.1989),  Wehrdienstverweigerung, Gefängniserfahrungen usw. Wir diskutierten über verschiedene aktuelle Themen, entwarfen gemeinsame Resolutionen oder Protestschreiben, oder wir machten Ausstellungen, wobei Leute von uns Ihre Fotos oder Zeichnungen ausstellten. Übrigens auch Frank Scarbata. Manchmal gab es auch einfach  nur einen Dia- Abend, bei dem man sich Fotos von den letzten Unternehmungen der Keller- Leute anschaute. Zudem hatten wir Leseecken eingerichtet, wo wir aktuelle Samisdatschriften der DDR, Autonomenblättchen der Westberliner oder Westdeuschen Bewegungen u.Ä. auslegten, damit jeder die Chance hatte, sich auch ohne Beziehungen zu informieren und die seltenen Publikationen damit nicht wie so oft unzugänglich für andere bei Einzelnen verschwanden. Besprochen wurden die Mittwoch- Aktivitäten immer Dienstags 19 Uhr zu unserer Cafe- Sitzung, einem Vorbereitungstreffen, wo sich Aktive, die mitmachen wollten, trafen, organisierten und berieten. Der Mockauer Keller war in dieser Zeit ein Ort, zu dem man mehrmals in der Woche mit der Straßenbahn hinaus- und nachts wieder zurückfuhr, gerade wenn man in einem anderen Viertel der Stadt wohnte, wie viele der in den Jahren neu hinzu gekommenen Jugendlichen.

Schmierzettel über die Aktivitäten des Mockauer Kellers 1989 (Archiv Ray Schneider)

Das Selbstbewusstsein der Gruppe im und um den Mockauer Keller nahm wegen der zunehmenden Aktivitäten im Keller und den daraus resultierenden Kontakten mit vielen Leuten aus anderen oppositionellen Kreisen stark zu. Obwohl wir als loser Treffpunkt keine feste Gruppe bildeten und nach Außen auch gar nicht so auftraten, denn immerhin gehörten die Einrichtungen zu einer Kirchengemeinde, mit denen wir ideologisch nichts zu tun haben oder verwechselt werden wollten, bestand der Kern der Leute schon aus Befreundeten, sei es aus den Beziehungen im Stadtviertel heraus, aus der vorangegangenen Arbeit in der Jungen Gemeinde, oder über die jeweilige Subkultur mit ihrer Musik und ihren Aktivitäten. Es entstanden  Verbindungen mit anderen Gruppen, die als Einzelpersonen mal vorbeischauten, um den Ort kennenzulernen, sich mit jemandem zu treffen, oder die aus organisatorischen Gründen bei Aktionen zu uns kamen.

Es gab auch personelle Überschneidungen, wenn z.B. eine Person zum Mockauer Kreis zählte und gleichzeitig in anderen Gruppen aktiv war. Durch diese Mischung flossen viele Informationen zusammen, die wir durch die Entscheidung, alle Infos weiterzugeben und zugänglich zu machen, nicht wie so oft gruppenintern und elitär versackten und kaum eine breitere Öffentlichkeit erreichten. Der Keller wurde ein nicht unwichtiger Knotenpunkt, die Themen, die Musik und die Bands, die dort zu hören waren, erreichten und inspirierten Leute, die sich sonst wohl nie von sich aus auf so etwas eingelassen hätten.  Andererseits tangierten uns die Ereignisse im Land auch direkt, denn viele vertraute Gesichter aus dem Keller verschwanden in dieser turbulenten Zeit regelrecht geräuschlos und vorerst für immer, denn sie bekamen bei den finalen Notschleusenöffnungen der DDR für Antragsteller (um die aufgebrachte Situation im Land dadurch möglichst zu beruhigen) ihre Ausreise in den Westen. Ich erinnere mich noch, wie wir am 6. Februar um 14.08 Uhr Ratte am Hauptbahnhof verabschiedeten. Drei Tage später spielte L‘ Attentat auf einem Benefit für die Ereignisse in der CSSR in Berlin bei der KvU. Am Ende des Monats, am 30.3., rollte um 16.18 Uhr der Zug mit Sheela und Imad aus dem Hauptbahnhof. Und es gab viele, die sehr aktiv und engagiert waren, die ebenfalls einen Ausreiseantrag laufen hatten, dessen Genehmigung sie jederzeit aus dieser Atmosphäre des Aufbruchs und der Hoffnung herausreißen konnte. Es war ein Auf- und Ab der Gefühle in unheimlich dichter Aufeinanderfolge.

Über Freundschaften und alte Kontakte kannten wir Leute, die miteinander eigene Projekte auf die Beine stellten, die sich im Rahmen der Möglichkeiten künstlerisch/ kulturpolitisch betätigten. Sie pflegten untereinander eine freundliche, ans Hochdeutsch angelehnte Ausdruckssprache, die sich von den üblichen sächsischen „Prollfressen“ in unseren Reihen deutlich abhob. Wir bezeichneten diese Leute sicher fälschlich als Langhaarige (denn mit Hippiekram hatten sie nichts am Hut) und sie gehörten nicht direkt zu unserem Kreis.

Hoffest vor dem Mockauer Keller ca. 1988 (Foto: Christoph Motzer)

Indirekt schon, denn neben dem Pferderennen oder bei Chemie, trafen wir sie auf Konzerten und Veranstaltungen, die auch uns interessierten, oder sie wurden über einzelne Freundschaften zu unseren Partys und Veranstaltungen eingeladen. Das selbst- Theaterspielen war in oppositionellen- und Szenekreisen ein damals gern benutztes Mittel, um sich als Gruppe oder Freundeskreis auszudrücken oder zu kommunizieren. Ich erinnere mich, dass zu Partys, zu Feiern oder sogar vor Punkkonzerten immer wieder Theaterstücke aufgeführt wurden, die die pogofreudigen Besucher natürlich nervten, aber im Allgemeinen sehr interessiert aufgenommen wurden. Auch zu einer Keller- Feier, der Nobelfete, hatten wir 1988 selbst ein aktuellpolitisches Stück geschrieben, es auf die Bühne gebracht und unter Beifall aufgeführt.

Theateraufführung zur Nobelfete 1988 mit Connie (r.) und Ray(mitte) (Foto: Archiv Connie Mareth)

Da Connie mit den obengenannten Theaterenthusiasten gut befreundet war und auch ich einmal mit nach Berlin zu einer Aufführung ihres Stückes „Rattenjagd“ gereist war, schlugen wir bei der Suche nach Mittwochscafè- Aktivitäten vor, diese Leute mit ihrem Zwei-Personen-Stück zu uns in den Keller zu holen. Das Stück „Rozznjogd“ des gesellschaftskritischen österreichischen Theatermanns  Peter Turrini, der wegen seiner Kompromisslosigkeit viele verschreckte, war von der Amateurgruppe als DDR- Uraufführung 1987 auf die Bretter gebracht worden und kam wegen seiner Gesellschaftskritik (im Verständnis der DDR- Zensur durch den Wohnort des Autors natürlich der Westen) gut an. Mit Campiello führte zeitgleich eine andere Leipziger Amateurgruppe (Haus der Volkskunst) ein Turrini- Stück auf, bis nach dem Mauerfall die Liebe der Leipziger Theaterschaffenden zu Turrini Wellen schlug, dessen Stücke inklusive Rattenjagd im Stadttheater Schauspiel Leipzig reihenweise aufgeführt wurden.( Als Halbjude ließ sich der Dichter 1990 liegend auf Brechts von Nazis geschändeten Grab ablichten und erzeugte mit dem Foto Aufsehen.) Der Meister arbeitete sich nachwendlich weiter bis in die Oper Leipzig, wo er sich an die Ernste Musik wagte und das atheistische Ostvolk mit „Moses und Aaron“ betörte.

Das Stück „Rattenjagdt“ war von Knut Geißler inszeniert worden und er spielte neben Tommi eine der beiden Figuren. Mit einigen anderen Leuten hatte sich die Gruppe als Amateurtheater/ Arbeitertheatergruppe am maroden Jugendklubhaus Jürgen Barth in Paunsdorf eine Einstufung erspielt und nutzte offizielle Auftritte wie „Zentrale Leistungsvergleiche“, „Volkskunsttage“ oder  zB. den „Leipziger Theatermarkt“. Ich erinnere mich an das Stück „Die Überquerung des Niagarafalls“, welches ich dort im Jugendklubhaus einmal gesehen hatte.  Da die offizielle DDR – Bezeichnung für solche Amateurtheatergruppen grauenhaft bis diskreditierend war, legte sich die Gruppe schnell den Namen „Fronttheater“ oder „Theaterfront“ zu. Unter ersterem traten sie bei uns im Keller auf. 

Der Mockauer Keller war kein unbedingt idealer Ort für eine Theateraufführung, nicht einmal für Konzerte von Bands, nicht einmal für größere Personenansammlungen. Hauptsächlich war er ein Keller mit niedrigen Decken, wenigen kleinen Fensterluken unterhalb der Bodenkante, grob verputzten Ziegelwänden, Betonfußboden und Glüh-/ Neonlampenbeleuchtung an der Wand, die Schatten warf und schlecht ausleuchtete. Rauchen war, wie überall damals, nicht untersagt und wurde wegen der schlechten Luft von den meisten exzessiv betrieben. Es gab einen Hauptkellergang, von dem einzelne verschlossene Kellerräume zur Lagerung von irgendwelchem Zeug abgingen, vorn und hinten endete er in größeren Räumen, wobei der eine mit gewölbter Decke und Stützsäulen wahrscheinlich einmal als Kohlenkeller konzipiert worden war und später mit Holzverschalung und Sitzbänken an der Wand für die Gemeindearbeit umgestaltet wurde. Der hintere Raum war ein  etwa 15 Meter langer Schlauch, mit glatt verputzter Decke, an der die etwas längeren Iros der Punker schon mal beängstigend einen Knick wegbekamen.

Lang aufgeschossene Artgenossen wie Speiche oder Jauche mussten sich notgedrungen einen gebückten Tanzstil zulegen, um das marode Mauerwerk nicht ernsthaft zu beschädigen. Hier fanden hauptsächlich die Konzerte statt, wobei sich die jeweilige Band mit ihrer Anlage vor der hinteren Stirnwand des Raumes platzierte und die teils pogende Zuschauermasse zu Hunderten durch den Kellergang von der gegenüberliegenden Seite in den Raum quoll, sich der Abstand von Band zu Publikum immer mehr verkleinerte bis zum Körperkontakt. Wurde es dann gemütlich, tropfte der Schweiß von der Decke, der sich dort in großen feuchten Flecken zu Kugeln formte, die dann der Schwerkraft gehorchend herunterfielen, den Boden aber nie erreichten…

L'Attentatkonzert im Mockauer Keller, Juni 85 (Foto: Riddi Prager)

In diesem Schlauch fand besagtes Schauspiel vor ungefähr 100 Zuschauern satt, die sich an die Wände drückend ca. einen Meter Spielfläche in der Mitte des Raumes freigaben. Draußen war es winterlich ungemütlich, teilweise gab es Schneeregen und die Leute waren dementsprechend gekleidet. Die abgelegten Jacken, Taschen und Trinkgefäße boten ein passendes Bühnenbild, denn die Rattenjagd spielte abends auf einer Müllkippe. Die zwei Protagonisten stellten ein Pärchen mit sich anbahnenden Paarungsabsichten dar, deren materielle Entkleidung in einen Seelenstriptease überging, der alsbald animalische bis lebensbedrohliche Züge annahm. Das Stück forderte Darstellern und Zuschauern sicher so Einiges ab, schon allein räumlich bedingt, denn es gab keine Distanz, keinen Rückzugsort oder ein Hintertürchen, um sich der unangenehmen Situation der sich Entblößenden zu entziehen. Ein Motiv aus der Fotoserie, welches in den ersten drei Auflagen von „Haare auf Krawall“ auf Seite 121 zu sehen ist, zeigt einige Zuschauer mit Elle und Thorsten im Vordergrund, die die Szenerie jeweils amüsiert oder skeptisch  betrachten. Ein weiteres Foto aus der Serie haben wir im Oktober 89 in einer Ausgabe eines aus Fotopapier hergestellten Fanzines abgebildet.

langsames Entkleiden auf engstem Raum (Foto: Frank Scarbata)
Elle und Torsten im Publikum (Foto: Frank Scarbata)

Der Abend war nur eine Episode im turbulenten Jahr 1989 und wurde sicher von Manchem schnell vergessen.  Am 7. Mai gab es zu den Kommunalwahlen den großen Wahlbetrug, der flächendeckend von Oppositionellen aufgedeckt und durch Erklärungen bis Demos öffentlich gemacht wurde. Leute aus dem Keller waren da immer dabei. Im Juni gab es in der Innenstadt Leipzigs Polizeistress beim Straßenmusikfestival…, der Platz des Himmlischen Friedens, der Kirchentag in Leipzig, der Pleiße- Gedenkmarsch und dann die Massenflucht nach der Grenzöffnung Ungarns zu Österreich, das sind Stichworte, welche lange vor den Ereignissen um die Nikolaikirche die Leute in Atem hielten. Irgendwie war allen von uns klar, dass nach dem Flucht- Sommer zur Messeeröffnung, oder wenn die Friedensgebete in Nikolai wieder losgingen, etwas passieren würde, passieren musste. Der große Knall im Herbst schickte seine vibes bereits voraus. Die Regierung sprach schon von Grenzschließungen zur CSSR und lobte die chinesische Methode vom Juni 89. Immer mehr Leute aus unserem Umfeld verließen Leipzig, teils hin und her gerissen wegen der euphorischen Stimmung und den sich anbahnenden Veränderungen und teils überstürzt, da sie befürchteten, nach Grenzschließung ihre Chance auf Flucht für immer vertan zu haben. Am 17. September saßen Connie und ich dann bei unseren Freunden Tommi und Doreen in deren Wohnung in Paunsdorf und verabschiedeten uns, denn sie wollten es noch vor Grenzschließung über Ungarn in den Westen schaffen. Sie gaben uns ihren Schlüssel und wir holten am nächsten Tag um Mitternacht ihre persönlichen Sachen aus der Wohnung um sie zu sichern. Auf ihrer Fahrt nach Ungarn, mussten sie natürlich die badefreudigen Touristen mimen und durften sich nicht durch die Mitnahme von verdächtigen Sachen als Republikflüchtlinge enttarnen. Die Abendnachrichten der Tagesschau brachten ununterbrochen Aufnahmen, wie ganze Herden Ostdeutscher mit Kind und Kegel durch ungarische Felder und Wiesen hasteten, vorbei an sich wegdrehenden ungarischen Grenzern,  um nach Österreich durchzubrechen. Einer, der kurz zu sehen im vollen Lauf mit erhobenen Armen in seinem Jeanshemd auf eine Westkamera zurannte, war Tommi. Sie hatten es geschafft, Leipzig hatte sie verloren.

Foto: Frank Scarbata
Foto: Frank Scarbata

„Wir wollten etwas ändern und wir wollten an uns was ändern…“, in diesem Kapitel erzählt Connie die Geschichte von den Leuten aus dem Mockauer Keller weiter. Das Rattenjagdfoto bleibt eine kurze Illustration. Die meisten auf diesem Foto zu sehenden traf man später auf dem Leipziger Ring wieder, Treffpunkt Mendebrunnen, traf sie bei den Reaktionskonzerten und später in Connewitz. Auch Theater wurde weitergespielt, in der naTo, im Conne Island, und weiterhin initiiert von den Leuten aus dem Kreis um das alte Fronttheater…