"Das wird in Analysen gern vergessen." - Interview mit K. (Harald) Herbst 2019

Harald war der erste blöde Name, der mir damals als Pseudonym eingefallen ist. Ich kannte keinen mit diesem Namen. Also konnte es auf keinen zurückfallen. Es ging mir nicht um meine eigene Geschichte, sondern ich wurde gefragt, ob ich etwas über die Gruppe erzählen könnte. Mit den Leuten habe ich das auch abgesprochen. Also es war klar, ich erzähle die Geschichte, lege den Text aber allen zur Kritik noch einmal vor. Leider hat es mit der Korrektur damals nicht so funktioniert, wie es gedacht war.

Neulich habe ich mich mit Leuten, die damals dabei waren, über den Text unterhalten. Teilweise wurde das hoch emotional. Mir ist dabei erst so richtig klargeworden, wie unterschiedlich heute doch der Blick auf die Gruppe ist. Je nachdem, zu welchem Teil man eben gehört hat. Im Text steht ja, dass es verschiedene Arbeitsfelder gab. Die Leute, welche die Zeitung machten, haben das noch bis 1998 weitergemacht und waren ein wichtiges Informationsorgan in Leipzig. Manche meinen, dass die der wirkliche Kern der Gruppe waren. Ich sehe das etwas anders. Für mich waren die Straßenaktivitäten ein genauso wichtiger Teil von uns. Also die Gewaltsachen. Ich denke nach meinem Weggang wurde das in der Gruppe nicht gern diskutiert. Viele haben das, was sie machten auch als Jugendarbeit gesehen und die Straßenkämpfe nicht als ihr Aufgabenfeld gesehen.

Erste Ausgabe der Leipziger Antifajugendinfo, 1990 (Archiv Sascha Lange)

Am meisten Kritik gab es am letzten Absatz des Textes. Das klingt so, als ob ich aus der Gruppe raus bin, weil die mir zu posermäßig drauf waren. Dies betrifft natürlich die Zeitungsleute nicht. Das möchte ich gerne klarziehen. Beispielsweise habe ich später in einem Interview mit der Antifajugendfront mal den Satz gelesen „Wir sind mehr Klasse als Masse“. Das fand ich widerlich, weil es so elitär klang. Wir waren viele und es gab Aktionen, auch aus dem Umfeld der Gruppe, von denen nicht immer alle Bescheid wussten. Definiert, wer nun zur Gruppe gehört und wer nicht, haben wir nie.

Marktplatzbesetzung gegen die MND-Kundgebung am 1.Mai.1990 (Foto: Archiv Ray Schneider)

1990 war extrem gewalttätig. Permanenter Kriegszustand. Wir waren immer bewaffnet. Ich hatte eine  BW-Hose mit einer Tasche für Stifte. Darin war immer so ein Abschussteil für Pyros. Der Bewaffnungsgrad war auf beiden Seiten sehr hoch. Messer weniger, aber dafür Knüppel, Nunchakus und CS-Gas. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass damals vor der Kohldemo die Leuchtmunition in Leipzig ausverkauft war. Dort hat es hinterher wirklich richtig gekracht, als die Faschos versucht haben, die Uni zu stürmen.

Es war eines der wenigen Male, wo die Bullen doch mal eingegriffen haben. Sonst sind sie frühestens nach einer Stunde gekommen. Ab 1992 waren die Faschos schon mehr geschwächt. Da wurde es etwas besser.

Ich habe nach meinem Ausstieg aus der Gruppe auch weiter Antifaarbeit gemacht. Aus den Strukturen bin ich nie ausgestiegen. Beispielsweise war ich bei den Edelweißpiraten. Das war etwas aktionistischer angehaucht als die Antifajugendfront, wo es auch viel um Theorien und philosophische Überlegungen ging. Trotzdem war das gemeinsame Dach immer die Antifaarbeit.

Leipzig, 1.Mai 1990 (Foto: Archiv Ray Schneider)

Aus der Retrospektive finde ich Militanz und auch Gewalt gegen bestimmte Ziele noch immer richtig. Sie waren und sind ein wichtiger Faktor für die Entwicklung der Szene in Connewitz und Leipzig. Das wird in Analysen gern vergessen. Auch wenn das manche Leute nicht gern hören, war die Militanz ein ganz wichtiger Grund dafür, dass es sich hier so entwickelt hat. Leipzig hat eine andere Entwicklung genommen als andere Städte. Das erkennt man klar an den letzten Wahlen, wo sich Leipzig als eine Art gallisches Dorf in Sachsen herausgestellt hat. Erklärungsversuche wie „Messestadt“ und „schon immer etwas offener“ gehen mir hier nicht weit genug.

Zeitungsartikel von 1990 zum Überfall auf das Schönefelder Jugendhaus "Sack".

Klar, dass Connewitz für gewisse Politiker ein Dorn ist. Einmal, weil es als Experiment alternativen Lebensstiles funktioniert, aber auch weil von hier Gegenwind kommt. Natürlich ist das Connewitz von heute nicht mehr der Stadtteil der Neunziger. Aber es ist immer noch ein Symbol linksradikalen Widerstandes. Man darf sich darauf aber nicht ausruhen. Also wenn es dann irgendwie nur noch Traditionspflege und Punkkostümierung ist, wird die Sache zahnlos. Zum Glück ist das nicht so. Seit 2015 bilden sich hier wieder neue Strukturen und Gruppen, die auch wieder kämpferisch aktiv sind gegen Legida und AfD. Das ist gut.