Krawall im Rathaus
Wenn wir in der Zeit um 1988/89/90/91 eins aus eigenen Erfahrungen, aus den Ost- und West-Medien und in der Beobachterstellung zu den Bewegungen in den Nachbarländern und Westberlin gelernt haben, dann das, das man mit Mahnen, Bitten und Artig-Sein nie etwas erreicht. Wenn man 1991 etwas wollte, Aufmerksamkeit für ein Thema, Unterstützung oder vielleicht ein eigenes Jugendzentrum, dann würde keiner kommen und fragen: „Was wollt ihr haben?“, sondern man musste Aufsehen erregen für seine Anliegen, die Leute zwingen, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen.
Natürlich durfte man es nicht zu weit treiben, musste rechtzeitig die Kurve bekommen, um dem Gegenüber auch noch Spielraum zu lassen, um etwas auszuhandeln, damit man eine Art Erfolg einfahren konnte.
Ende 1990 setzten sich mehrere Kulturinitiativen zusammen (Connewitzer Alternative, Galerie Augenblick, naTo, IG Rock, die Villa, REAKTION, Bündnis 90, Steinstraße usw.), um gemeinsam nach Lösungen für ein Haus für Leipziger Kulturprojekte zu suchen. Vorrangig ging es um ein großes gemeinsames Objekt, eine Kulturfabrik, ein multikulturelles Zentrum, oder ein AJZ. Da die Initiativen trotz scheinbar gleicher kulturpolitischer Herkunft unterschiedliche Ansichten über Inhalte, Arbeitsweise und Ziele verfolgten, kam man naturgemäß auf keinen Nenner, die Sache zog sich hin.
Geld hatte die Stadt ohnehin keines und die Politiker und Stadtverwalter beschäftigten sich mit allem anderen, als mit brotlosen Nebensächlichkeiten, was die Kultur an der Basis für die meisten war. Was damals in der Runde gegenüber den Vertretern des Stadtparlaments deutlich gemacht wurde, die auf ihre Regeln und Vorschriften pochten und es immer zuerst um Geld ging, war die Erkenntnis, dass Kulturarbeit damals in Leipzig überhaupt nur funktionierte, weil sich seit langem sowieso keiner an Regeln hielt und Kultur frei gelebt wurde, wie und wo es möglich war, ohne lange Anträge einzureichen, abzuwarten und irgendwo eine Erlaubnis einzuholen.
Als im Februar 1991 in der Öffentlichkeit bekannt wurde, dass die Stadt ihre DDR- Kultureinrichtungen aus finanziellen Überlegungen veräußern wollte und der Eiskeller verkauft werden sollte, um daraus eine Großraum- Disco in privater Hand zu machen, schalteten bei den Leuten von Reaktion, die gerade Konzerte im Eiskeller planten, die Alarmsirenen auf Rot. Da man als Konzertprojekt selbst „obdachlos“ war, an den Türen der Kulturhäuser bettelte, um denen mit einem Reaktionskonzert ein volles Haus zu bescheren, bestand in diesem Moment die Möglichkeit, mit den vielen Sympathisanten und Reaktionsbesuchern im Rücken, Aufsehen zu erregen und Druck auszulösen.
Die Überlegungen waren z.B. spektakulär eine Opernaufführung zu stoppen oder am/im Gewandhaus irgendwas zu machen, denn diese Häuser galten uns als die Vorzeige-Hätschelkinder, mit denen sich die Stadt schmückte und die auf jeden Fall nicht verkauft werden würden. „Wenn die Stadt keine Kultur von Unten zulässt, dann wird auch keine Kultur von Oben funktionieren!“, war die Meinung vieler. Da wir in den Zeiten durch die Ereignisse um 89 auf den Straßen, die spektakulären Reaktionskonzerte und der vielen politisch motivierten Aktionen in der Stadt einen unheimlichen Auftrieb und Selbstbewusstsein hatten, alles irgendwie möglich erschien und nur gemacht werden musste, schreckten wir trotz unserer doch eher kleinen Sympathisantenzahl vor größeren Aufsehen erregenden Aktionen nicht zurück. Stadtverwaltung, Polizei, die Bürgerbewegung und selbst die Linken aus der PDS, das waren für uns in dieser Zeit durch ihre jüngste Geschichte oder ihr gegenwärtiges Agieren, keine Respekts- oder Vertrauenspersonen, mit denen man reden könnte oder die sich mit uns eventuell solidarisieren würden. Man entschloss sich dann, mit Leuten ins Rathaus zu ziehen und wie bei einem Punkkonzert mit Lärminstrumenten und Konfetti für Unruhe zu sorgen. An die 100 Leute erzeugten dann am 4. März 1991 im Rathaus ein entsprechendes Desaster und lungerten einen halben Tag in den Hallen der Stadtpolitik herum. „Kommt nicht ein Teil der Kultur in unsere Hand, dann setzen wir die Stadt in Brand!“, skandierten die Jugendlichen.
Auch wenn es das zu erwartende Naserümpfen und Unverständnis bei vielen Anzugträgern gab, gab es durch den Wandel doch auch einige, wie vom Bündnis 90, die das Problem erfassten und sich der Forderungen annahmen, vorrangig Frau Brunhild Matthias, die damalige Kulturamtsleiterin. Damit wurde die Aktion zu einem vollen Erfolg und man erreichte mehr, als zu erwarten war. Reaktion bekam den Eiskeller solange als Veranstaltungsort zugesichert, bis das Projekt „Kulturfabrik“ umgesetzt wäre und Reaktion dort seinen Platz finden würde. Da die Verhandlungen um die Kulturfabrik sich hin zogen, schließlich zum Erliegen kamen, weil die Teilnehmer auf eigene Faust Lösungen für sich suchten, meist durch Besetzungen wie im Werk II, blieb Reaktion für vorerst fünf Jahre und in freier Trägerschaft im Eiskeller, woraus sich dann das Conne Island entwickelte.
Im Buch „Haare auf Krawall“ wird von Klappi, von Seele, Goofy und anderen viel über diese Zeiten erzählt. Über die Rathausaktion und die Wut darüber, dass direkt nach den Umbruch im Land, schon wieder alles an unseren Interessen und Bedürfnissen vorbei entschieden werden sollte, eher weniger. Auch davon, dass viele der Aktivitäten von ganz wenig Leuten, teilweise nur Einzelpersonen vorangetrieben wurden, dass Projekte wie Reaktion oder das Conne Island zu manchen Zeiten nur durch die Anwesenheit und Arbeit einer Hand voll Aktiven am Leben erhalten und vorangetrieben wurde, das wird nicht immer klar, in den Erzählungen über die turbulenten Nachwendejahre. Was dabei aber immer wichtig war, ein Motivator für die Handelnden und Rückenhalt, wenn es Angriffe oder Probleme gab, war die Gewissheit, dass viele Leute hinter den jungen Projekten in Connewitz standen, wenn auch teilweise nur als Konsumenten. Es waren keine leichten Zeiten für Leute die Kulturarbeit gemacht haben damals, aber es ist uns in Leipzig trotz aller Unterschiede gelungen, dass sich die Kulturszene untereinander solidarisierte, gemeinsame Kampagnen fuhr, Demos veranstaltete und gemeinsam für die kulturelle Entwicklung, jenseits von Gewandhaus, Games Convention und Red-Bull-Arena einstand.
Über den Autor
Wie die Stadt rum geheult hat, 3000 Westgeld Reinigungskosten.
Für die Hälfte des Geldes hätten wir die och wieder mitgenommen.
War gar nicht so geplant die Aktion, ne spontane Idee an der Haltestelle,
noch die Schnippel aus dem Nessi zu holen.
Hab das Bild Flo gezeigt
O-Text Flo:
„haha jo…bin ich mit kariertem Latscher…war ’91…mit Pauken und Trompeten…wegen Eiskeller…e Fundstück…fetzt“