Heldenstadt Anders – Das Festival, 12.09. bis 14.09.2019 im UT Connewitz
Konzertbericht aus dem "Proud to be Punk" Fanzine
Die Idee, einen Leipziger Sampler zu machen, der eine Gesamtübersicht über Leipzigs Undergroundszene der DDR bietet und deren Geschichte erzählt, entstand bereits während der Arbeit an der Wutanfall-Ausstellung im Winter 2017/18. Plötzlich gab es so viele Kontakte zu Leuten und so viel für uns zu entdecken. Im Herbst 2018 begannen wir endlich unsere Arbeit. Wir schrieben Bands an, forschten, arbeiteten uns durch Stasiaktenberge, hörten uns durch alte Tonbänder, leierten lose Kassettenbänder wieder in ihre Form, interviewten Zeitzeugen und scannten fast 3.000 Fotos. Verrückterweise waren alle Bands und Gesprächspartner sofort von unserer Idee begeistert. Es sollte eine gemeinsame Platte von allen für alle werden. Wir wollten die Platte nicht alleine machen, sondern sie sollte gemeinsam mit den Bands entstehen. Über 62 Bandnamen konnten wir in Leipzig finden. Von 39 Gruppen befinden sich nun Aufnahmen auf der dreifachen LP Box. Wir empfanden und empfinden immer noch eine unendliche Dankbarkeit für die immense Mithilfe vieler. Sie brachten Texte mit ein, gaben uns Aufnahmen und vertrauten uns ihre Aufzeichnungen und Fotos an. Alles ohne Geld und Gegenleistung.
So entstand schließlich der Gedanke, uns bei allen zu bedanken. Eine große Party musste her. Besser ein Konzert, da es ja hauptsächlich um die Musik ging. Aber wer spielt auf der Record-Release-Party eines Samplers von Bands, die im Schnitt seit 30 bis 35 Jahren nicht mehr existieren? Und wo soll das ganze stattfinden? Der Running Gag: „Wir sehen uns dann auf der Record-Release- Party“, kursierte ja bereits bei der Wutanfall-Platte. (Und wurde von uns damals schon mit einem fetten Grinsen quittiert und als sportliche Herausforderung genommen.)
Suche nach dem geeigneten Ort
Schnell hatten wir das UT Connewitz im Blick. Immerhin hatten in diesem historischen Filmtheater bereits zu DDR-Zeiten Konzerte sogenannter „Anderer Bands“ stattgefunden. Mit seinem Fassungsvermögen von höchstens 500 Leuten erschien es uns auch die richtige Größe zu haben. Wir wollten eine gemeinsame Feier und kein anonymes Konzert veranstalten.
Die Bandfrage
Der Schwarze Kanal, welcher immerhin noch ab und an spielt, war unsere Lösung für die Musikfrage. Vorsichtig fragte ich noch bei zwei weiteren ehemaligen Bands an, ob sie eventuell Lust hätten, noch einmal aufzutreten. Ein paar Songs einproben oder so. Aber dann um Weihnachten 2018 stand plötzlich unser Telefon auf Dauerklingeln. Immer mehr Bands sprachen uns an und wollten noch einmal spielen. Wir konnten es überhaupt nicht glauben. Was für eine geile Sache! Aus einem Abend wurden zwei und aus zwei Tagen wurden schließlich drei Tage und dadurch ein Festival. Dann mussten wir die Notleine ziehen. Ein vierter Tag wäre nicht mehr tragbar gewesen.
17 Bands sagten zu und begannen wieder zu üben. Darunter Leute die seit gut 20 Jahren verstritten waren und kein Wort mehr miteinander gesprochen hatten, Menschen die sich seit 30 Jahren nicht mehr gesehen hatten und in alle Winde verstreut wohnten. Einige hatten seit der Wende kein Instrument mehr angefasst, hatten ihre festen Berufs- und Familienstrukturen nach einigen Drogenabstürzen in den 90ern gefunden. Andere hatten immer irgendwie in Bands gespielt. Es war ein irrsinniges Experiment. Es bedeutete für jede einzelne Band einen extrem starken Willen, sich darauf einzulassen, denn es musste das alte Songmaterial wieder erschlossen und neu eingeprobt werden. Manche mussten sich überhaupt erst einmal dazu entschließen, wieder miteinander zu kommunizieren. Probentermine mussten gefunden werden, um alle Bandmitglieder aus ganz Deutschland wieder zusammenzukriegen. Und dann sollte alles auch noch Spaß machen… Aber es funktionierte.
Einige Bands sendeten Grüße aus dem Proberaum:
Den Sampler haben wir schlussendlich „Heldenstadt Anders“ genannt. Als Leipziger stört uns diese Geschichtsfolklore mächtig, die um die sogenannte „friedliche Revolution“ von den Stadtvätern und dem Stadtmarketing konstruiert wird. Wir wollten ein Zeichen setzen: „Ey, da gab es noch mehr als die Montagsgebete in der Nikolaikirche!“ Da gab es Menschen, die bereits Jahre zuvor mit ihrem Gesicht und ihrer Stimme ihre Meinung offen kundgetan hatten, dadurch Knast riskierten und vielleicht noch mehr. Wir wollten anstacheln und aufarbeiten. Den einzelnen Personen wieder Namen und Gesicht geben.
Zufälliges Jubiläum
Bei all unserer Arbeit am Sampler kam uns eigentlich gar nicht in den Sinn, dass sich 2019 der Fall der Mauer zum dreißigsten Mal jähren würde. Aber dadurch war die Öffentlichkeitswirkung auf unser Projekt natürlich wesentlich größer, als angedacht. Passte also, auch wenn es Zufall war! Auf Fördergelder haben wir bewusst verzichtet. Wir wussten von einem gewissen Risiko. Immerhin war der Betrag, den wir benötigten, fünfstellig. Aber wir wollten frei sein in unseren Entscheidungen und nicht bei jedem Euro überlegen, ob wir das jetzt so beim Fördermittelgeber abrechnen können. Unser Herz sollte rein ins Festival. Sonst hätten wir unserer eigenen Aussage: „Wir machen unsere Geschichte selber“, komplett widersprochen. Und nur so waren das Festival und auch das Plattenprojekt umsetzbar. DIY gegen Ausbeutung, Selbstprofilierung und hohles Geschichtsmarketing.
Selbstverständlich musste es Gesichter und Ansprechpartner für Presse und Co geben. Koordinatoren, die planen und die die Gesamtübersicht behalten. Das waren Uli und ich. Trotzdem hatten wir einen großartigen Stamm von ehrenamtlichen Mitarbeitern und Freunden, die uns dabei unterstützten, dass es die herzliche und subkulturelle Feier wird, die wir uns vorstellten.
Es sollte allen gutgehen, z.B. auch immer Essen bereitstehen. Für alle Musiker und die komplette Crew. Es musste eine Person da sein, die sich alle drei Tage ausschließlich um die Videos und Bilder auf der Kinoleinwand kümmert. Es brauchte Bühnenhelfer, Filmer, Soundleute, gute Seelen, Springer, Eintrittskartenabreißer und Biernachholer für den Backstagebereich. Die Crew, die sich schließlich fand, bestand aus zwei Köchen, Stefan, der sich alle drei Tage um die laufenden Filme und Videos kümmerte, Roy und Prelle mit diversen Helfern am Plattenstand, die UT Connewitz Crew, Rumsei an der Technik, Uli und mir. Hinzu kamen die Bands, welche ihre Verstärker und Schlagzeuge zur Verfügung stellten, Fahrer wie Dieter, Aufbauer und Trostspender. Es war eine absolut geniale Mischung, weil jeder dort anfasste, wo es nötig wurde, einsprang und mitdachte. Ohne all diese Leute im Hintergrund hätte das alles nicht so reibungslos funktioniert. Allen gebührt unser riesiger, kaum ausdrückbarer Dank!
Endlich geht's los
Und endlich kam der September und damit das Festival. Seit Wochen waren alle drei Tage restlos ausverkauft. Was könnte noch schiefgehen? Natürlich ist es aber immer ein Hoffen und Bangen, ob alle Bands, die zugesagt haben, auch wirklich auftreten werden. Schließlich sind inzwischen alle Musiker über 50 Jahre alt. Aber es kamen alle und alle hatten Bock.
Von Anfang an herrschte im UT eine besondere Stimmung. Am besten lässt es sich mit dem Wort Dauergrinsen beschreiben. Leute trafen sich seit über 30 Jahren wieder. Die Stimmung war extrem euphorisch. Was würde jetzt passieren? Wie klingen die Bands heute? Auch alle Musiker waren angespannt und aufgeregt, aber sau gut drauf. Selbst alten Hasen wie Makarios oder Reudnitz merkte man eine gewisse Aufregung an.
HerT.Z. eröffneten das Festival. Das war genau die richtige Wahl. War die Band in den Achtzigern schon fulminant gewesen, donnerte Zekl mit seiner Crew alles weg, was in Bühnennähe war. Mit diesem aggressiven Sound und dieser Bühnenpräsenz hatte niemand gerechnet. Ein Megabrett zwischen EBM, Krach und Punk.
Es folgten Kulturwille. Typischer guter Ostpunk mit lyrischen bis nachdenklichen Texten. Damals 1986/87 gegründet, endete deren Karriere abrupt als Sänger Roger Troks 1988 zur Armee gezogen wurde.
Mad Affaire brachten wieder einen völlig anderen Sound auf die Bühne. Irgendetwas Abgedrehtes zwischen Jazzanleihen und Punk. Hier standen nun die heutigen Berufsmusiker auf den Brettern. Immerhin verdient Rotz heute als Schlagzeuger der „Buddy Holly Show“ seine Brötchen und auch Sänger Hatz kam extra aus Berlin, wo er sich heute in Bands wie In Extremo und Corvus Corax auslebt.
Die Zucht waren natürlich die heimlichen Headliner des Abends. Die legendäre Vorgängercombo von Die Art trat zu ersten Mal seit 35 Jahren überhaupt – und natürlich in der Originalbesetzung – auf. Ein Wunder, an das nur wenige wirklich geglaubt hatten, hatten doch seit 1999 Sänger Makarios und Basser Christoph Heinemann kein mehr Wort miteinander gewechselt und lagen in bitterstem Streit. „Die Zucht“ lieferten genau das, was die Fans von ihnen erwartet hatten. Wesentlich roher und ungeschliffener als Die Art jagten sie die Songs der ersten Tage durch die Boxen. „Zucht und Ordnung“, „Endlos“ und wie sie alle heißen. Ein krönender Abschluss des ersten Festivaltages.
Der zweite Tag
Da alle Tage restlos ausverkauft waren sendete der alternative Radiosender „Radio Blau“ den Donnerstag und den Freitag live in die Wohnzimmer der Daheimgebliebenen. Sogar in der Schweiz saßen Leute vorm Radio. Gefilmt wurde die ganze Sache ehrenamtlich von mehreren Kamerateams. Immerhin handelte es sich bei dem Festival um eine einmalige Sache. Bands die seit über 30 Jahren nicht mehr gespielt hatten. Das zog natürlich auch die Medien an. Die waren uns hier sowieso gut gewogen. Die „wohl beste Veranstaltung zu 30 Jahren Mauerfall überhaupt“ titelte eine Zeitung. Diese Art von öffentlicher Presse war hier ausdrücklich erlaubt und von uns gewollt. Wir wollten ein offenes Zeichen setzen. Mit allen gemeinsam etwas bewegen. Laut und mit Energie. Nicht die sich ewig alljährlich selbstbeweihräuchernden Reden im Gewandhaus mit Typen wie dem Bundespräsidenten und Tobias Hollitzer aus der Runden Ecke oder einem ehemaligen Stasispitzel und SED-Veteran namens Gregor Gysi, der dieses Jahr tatsächlich eine Festtagsrede in der Peterskirche halten sollte.
Der Freitag begann entspannt. Zu den Soundchecks am Nach- mittag trudelten pünktlich alle 6 Bands ein, die für den Abend geplant waren. Reudnitz saß bereits an der Theke und grinste. Höhnie erzählte mir irgendwas von Döbeln und den Neunzigern, der Kaffee schmeckte und Pffft…!-Gründungsmitglied Chaos schleppte seine „Beute“ rein, die er am Vormittag bei einem kleinen Besuch auf einem Leipziger Schrott- platz gemacht hatte. Neben riesigen Fässern, undefinierbar zusammen-geschweißten Stahlrohren, einem alten Auspuff und diversen anderen Gegenständen versprach eine verzinkte Metallwanne, dass es laut werden würde.
Unsere Köche leisteten ganze Arbeit. Immerhin wollten täglich um die 60 Mitarbeiter, Musiker, Techniker und Crewmitglieder versorgt werden. Eine Wahnsinnsleistung. Es gab täglich Kaffee und Suppe. Dazu zwei Malzeiten in vegetarischer und nichtvegetarischer Form. Brot, überbackene Snacks und frische Salate. Die Küche war Treffpunkt und Auszeitraum zugleich.
Die Empore des UT, welche normalerweise als Backstage für die Bands vorgesehen war, hatten wir von Anfang an für alle Bands des Festivals und deren Freunde, Kinder und Bekannten geöffnet. Dies sorgte zwar dafür, dass der Bandkühlschrank permanent leer war und aufgefüllt werden musste, aber die Party an allen drei Tagen war dafür unbezahlbar geil. Und auch ich lernte dazu. Wenn du willst, dass eine Band ein frisches Bier kriegen soll, wenn sie von der Bühne kommt, dann mache den Kühlschrank immer erst bei der letzten Zugabe wieder voll.
Was ich schön fand war, dass eigentlich alle Bands von Donnerstag bis Samstag mit dabei waren und sich die anderen Bands anhörten. Eine Konkurrenz a la „ich bin besser als du“ gab es nicht. Und es machte allen sichtlich Spaß. Auch die Leipziger Bands, die aus diversen Gründen nicht spielen konnten, waren fast vollständig da. Defloration, L’Attentat (natürlich ohne Imad), die Tishvaisings, L’Art de Blamage, um nur einige zu nennen. Alle freuten sich.
Die Stimmung war äußerst entspannt, als am Abend dann pünktlich die Gäste eintrudelten. Überhaupt herrschte alle drei Tage ein ganz besonderes Flair im UT. Vielleicht lässt es sich wie eine Art „Woodstock für Punks“ beschreiben. Alle, denen ich begegnete, hatten ein Dauergrinsen im Gesicht. Leute trafen sich wieder, die sich über 30 Jahre nicht gesehen hatten. Jungpunks standen neben altgedienten Silberrücken und unterhielten sich. Die Bands freuten sich über die anderen Gruppen. Es gab kein Geschiebe, kein Gedränge, keine Pöbelleien. Nichts. Nur ausgelassenes Feiern.
Die Hucks eröffneten den zweiten Tag. Sie lieferten besten Hardcore ab.
0815 folgten. Saugeiler Sound. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sich die Bands richtig ins Zeug legten. Die hatten geübt bis zum Umfallen! Bei manchen war dies eine logistische Meisterleistung gewesen. Der Gitarrist irgendwo in Tübingen, der Sänger bei Stuttgart. Basser in Sachsen-Anhalt und der Drummer in Leipzig. Alle lieferten die besten Bühnendinger ab, die machbar waren. Einige Bands klangen, als ob sie immer miteinander gespielt hatten. Viel lief auch über die multimediale Unterstützung. Nicht umsonst ist das UT Connewitz das älteste noch im Originalzustand erhaltene Kino in Leipzig, das es gibt. Fast alle Bands hatten Videos und Bilder mitgebracht, die während ihrer Auftritte auf der Leinwand liefen. Das fand ich sehr beeindruckend. Für die Umbaupausen hatten Uli und ich eine Art Super-8-Film aus alten Fotos zusammengeschnitten. Klasse, wie sich viele nach über 35 Jahren dann auf den alten Fotos wiedererkannten. „Gugge mal. Das bin isch. Oh, war isch jung…!“
Gelee Royal folgte auf 0815. Wieder ein völlig anderer Sound. Genau das war ja unsere Absicht gewesen. Eben die Buntheit der Leipziger Szene zu zeigen. Hier klang jede Band verschieden und doch hatten sie zur selben Zeit in derselben Stadt existiert.
Die Dilettanten waren die vierte Band des Abends. Geilster Punkrock, und da Gitarrist Andre auch noch das legendäre Nebenprojekt Karl-Heinz betrieben hatte, folgten auch noch ein paar Songs von diesem Projekt. „Müller“, die Begegnung mit einem Stasischläger während eines Verhörs, war der absolute Toptitel. Andre traktierte seine Gitarre sogar mit einem Eisenstab.
Und wer nun dachte, die Stimmung könnte nicht noch besser sein, hat noch nie den Schwarzen Kanal in Aktion gesehen. Plötzlich wurden schwarz-rote Fahnen im Publikum geschwenkt, der Pogo ging von der ersten Reihe bis zur Theke und ich hatte Angst, dass die Empore runterkommt. Natürlich bekommt man mit drei Gitarren immer ein Megabrett von der Bühne. Aber dieser Gig hier war der wohl aggressivste und geilste, den ich seit langem vom Kanal gesehen hatte. So ein starkes Ding! Wer kann bei Songs wie „Sacco & Vanzetti“ , „Südafrika“ oder „Ohne Sinn“ denn überhaupt auf dem Stuhl sitzen bleiben? Glücklicherweise waren vor dem Auftritt des Kanals endlich auch Ray, der legendäre Texter von Wutanfall und L’Attentat noch reichtzeitig angekommen. Am Mittag hatten sie die Kids direkt nach der Schule ins Auto gepackt und waren seitdem von Baden-Würtemberg bis Leipzig von einem Stau in den nächsten gefahren.
Den Abschluss des Abends waren Pffft…! Projekt KNRPL. Spätestens seit dem Intermediafest 1985 in Coswig ist das Projekt um ex. Wutanfall-Sänger Chaos eine Legende. Noise vom derbsten. Mit einem riesigen Vorschlaghammer wurden nun Tonnen, Metallwannen und andere Gegenstände bearbeitet. Das dabei die Monitorboxen keinen Abgang machten, ist nur den Leuten zu verdanken, die sich geistesgegenwärtig mit aller Kraft dagegen gestemmt hatten. Nach den Konzerten verteilten sich die meisten Gäste über Leipzigs Kneipen, wie der Zwille oder dem König Heinz, um weiter zu feiern. Uli und ich konnten als Verantwortliche leider nicht mitfeiern. Wir mussten am nächsten Morgen wieder klar und fit sein. Aber das ist eben so.
Der dritte Tag
Der Samstag begann quasi „am Morgen“ um 17 Uhr mit Schmerzgrenze. Noch nie hatte ich vorher in Connewitz Pogo vor Einbruch der Dunkelheit gesehen. Krachigster Punk wurde geboten. Sieben Konzerte hatte die Band um 1987 gespielt. Fünf davon waren in einer Massenschlägerei geendet. Logischerweise verweigerte die Band sich damals einer staatlichen Einstufung. Sänger Fred ist auch noch auf andere Weise in die Geschichtsbücher der Stadt Leipzigs gekommen, war er doch der Erste überhaupt, der am 15.01.1989 eine offene Rede während der Montagsdemos hielt. Natürlich folgten Knast und Abschiebung prompt.
The Real Deal waren die nächsten. Sie boten eine Mischung aus poppigen und Indie-Tönen, die ihre Liebhaber fanden.
Die darauffolgende Band, Trübkraft Umsonst kann musikalisch überhaupt nicht definiert werden. Irgendetwas zwischen Raggae, Punk und Dada. Wie es die Gruppe damals schaffte, mit ihren offenen Texten eine Einstufung zu erspielen, kann ich mir nur dadurch erklären, dass die Herren der Einstufungskommission diese einfach nicht verstanden haben.
Nun folgte ein enormer musikalischer Sprung: Mit Unklar gab es auch eine typische Metalband zu hören. Die Punkwurzeln waren trotzdem unüberhörbar. Gegründet hatten sich Unklar damals aus dem Umkreis der allseits bekannten Band Zorn.
Zorn, die direkt im Anschluss spielten, waren natürlich für viele Konzertbesucher ein Highlight. Im Prinzip klangen sie so, als hätten sie nie eine 30jährige Pause gemacht. Jung, frisch, laut und aggressiv. Kein Wunder, dass der Pogo erneut die Bar im hinteren Teil des UT Connewitz erreichte. Die Band war richtig gut drauf und spielte mit knapp 70 Minuten auch das längste Set des Festivals.
Eine der wohl einflussreichsten und wichtigsten Bands Leipzig betraten danach die Bühne Neu Rot. Schlagzeuger Henrik Eiler galt lange Zeit als der beste Drummer Leipzigs. Und dies stellte er auch unter Beweis. Musikalische Klangebenen wurden aufgemacht, auf die Sänger Jörg seinen eindringlich lyrischen Gesang legte. Ein extrem schwerer Soundteppich, der das begeisterte Publikum auffraß und nicht mehr losließ.
Als letzte Band des Festivals überhaupt führten Confused Trial das Publikum in eine weitere Klangwelt des Unwirklichen. Mike Hartung, Gründer von Bands wie Love is colder than death, die in Mexiko sogar Goldstatus bei ihren Plattenverkäufen erreichten, weiß eben genau, was er tut. Mit einer elektronischen Hommage von „Leipzig in Trümmern“ fand das Festival seinen Ausklang.
Nachsatz
An allen drei Tagen habe ich ausschließlich in glückliche Gesichter geschaut. Alle drei Tage waren getragen durch eine ganz besondere Stimmung. Draußen die Welt, in der Halle wir. Irgendwo zwischen Freude, Glück, Friedlichkeit und purem Erstaunen, wie gut alle Bands drauf waren, aber auch dem Wissen, dass hier etwas Einzigartiges gelungen war. Aber trotzdem war uns bewusst, dass wir nicht losgelöst sind. Die Wahlen in Sachsen lagen erst zwei Wochen zurück und uns allen war klar, dass deren Ausgang uns vor neue Aufgaben stellt. Wir Verantwortung für unsere Kinder haben und als Leipziger über die Grenzen der Stadt hinausschauen müssen. Viele Leute wie Schwarwel, Andre mit seinem Landesfilmdienst oder auch Carsten von der HGB hatten in den Wochen vorher Dörfer und ländliche Gegenden abgeklingelt. Hatten alle Kräfte in die Aufgabe gelegt miteinander ins Gespräch zu kommen. In Schulen vor Klassen, in Dorfgemeinschaftshäusern oder auf Demos in Chemnitz und Ostritz. Auch für sie war das Festival eine Verschnaufpause. Ein Durchatmen. Für viele andere war es ein Neuentdecken von Altbekanntem, für andere das erste Mal überhaupt. Wir sind froh und glücklich, dieses Festival veranstaltet zu haben. Es war uns eine riesige Freude und auch eine große Ehre. Wir wussten, dass ein so großes Ereignis extremer Vorbereitung bedarf, dass wir in der immerhin einjährigen Vorbereitungszeit oft über unsere Grenzen gehen müssten und das alles nur zu stemmen sein kann, wenn wir Menschen als Helfer gewinnen können, auf die wir uns verlassen können. All dies durften wir schaffen und erleben. Ohne Fördergelder, ohne Zuschüsse. Es ging nur, weil es alle wollten und weil es genau die richtige Zeit war. Es war unser Beitrag zu 30 Jahren Mauerfall. Gestaltet und gemacht von denen, die nicht immer in den Medien zu sehen sind oder als Helden betitelt werden. Es sind die, die auch schon Jahre vorher mit ihrer Stimme und ihrem Gesicht für das eingestanden haben, was sie dachten und wollten. Dafür sind wir unendlich dankbar. Und bei allem Gewesenen ist es für uns besonders schön, wenn neue Dinge daraus erwachsen und entstehen. Die Zucht beispielsweise sitzen gerade im Studio und nehmen eine Platte auf. HerT.Z. gehen auf Tour. 0815 auch. Alte Kontakte sind neu erwacht. Es entstehen neue gemeinsame musikalische Projekte, aber auch Projekte filmischer und künstlerischer Natur. Die Nachbeben sind spürbar. Und es bleibt auch nicht ohne Folgen, wenn sich ehemalige Bürgerrechtler*innen oder Stadträt*innen fasziniert die Auftritte des Schwarzen Kanals oder von Schmerzgrenze anschauen. Das Festival sollte Buntes mit Buntem verbinden. Dieses Ziel wurde erreicht.