Eine "historische Kostbarkeit" soll ich sein

Entstanden bin ich in der Dufourstraße 34. Die Dufourstraße 34, das war ein besetztes Abrisshaus in der Leipziger Südvorstadt. 1983 ist Imad hier in die obere Etage schwarz eingezogen und dann kamen immer mehr junge, bunte Leute wie Maik, Sheela, Antje, Conny, Ratte oder Eddie, die die anderen Wohnungen instand besetzten. Einer hatte eine Dusche, ein anderer einen Fernseher. Es wurde versucht, alles zu teilen. So kollektivmäßig. Das war natürlich nicht immer frei von Konflikten. Aber es war der Versuch, anders zu leben, als in der DDR üblich. Haustiere gab es auch immer. Da waren Ratten, Hunde, Katzen und sogar ein Waschbär, der bei Conny ein eigenes Zimmer hatte.

Gemeinsames Abendbrot in der Dufourstraße. (Foto: Conny)
Der Waschbär (Foto: Conny)

Unten im Haus haben ein paar Bands geprobt und wenn das Wetter schön war, wurden oben auf dem Dach wilde Partys gefeiert. Von hier aus starteten auch gemeinsame Unternehmungen, wie z.B. Fahrradtouren. Nur der Müllhaufen im Hinterhof wurde, genau wie die Ratten, im Laufe der Jahre immer größer.

Der Müllhaufen im Hof (Foto: Conny)
Anarchy & Peace (Foto: Conny)

Immer waren viele Leute da. Manchmal war das für einige ein bisschen zu viel. Aber langweilig war es nie. Zur Messezeit kamen auch Leute aus der BRD und der Schweiz zu Besuch. Hier lief auch alles zusammen, was mit L’Attentat zu tun hatte. Alle Entscheidungen die Band betreffend wurden hier gefällt. Das Logo der Band war das „Farm der Tiere“-Schwein mit Fahne. Ray hat das entwickelt. Stracke hat 1987 das Logo sogar in Westberlin auf rote T-Shirts drucken lassen und auf der Straße in Kreuzberg verkauft.

L'Attentatfahne auf der Dufourstraße. (Foto: Archiv Ray Schneider)
Dachparty (Foto: Archiv Ray Schneider)

Aber ich bin hier im Osten entstanden und geblieben. Mich hat irgendwann irgendjemand mal bemalt.  Anfang 89 war dann Schluss mit der Dufourstraße. Die Leute zogen aus, Imad, Sheela und auch Conny bekamen ihre Ausreise nach West Berlin und das Haus wurde zugenagelt. Ich wurde liegengelassen und dachte schon, dies sei mein Ende. Aber kurz bevor das Haus 1990 abgerissen wurde, waren noch einmal ein paar Leute aus den alten Tagen im Haus. Sie machten ein paar Fotos und einer fand mich. Er nahm mich mit und in seinem Besitz machte ich eine Reise durch diverse besetzte Häuser in Connewitz, erlebte Naziübergriffe und Polizeirazzien, bis ich irgendwann im ZXRX landete. Heute, so sagen sie, sei ich eine historische Kostbarkeit. Ich bin jetzt Teil des Heldenstadt- Anders Archivs und liege neben Kassetten, Buttons, Postern, Zetteln und anderem Kram an einem Ehrenplatz. Na, mal sehen, wie das Leben nun im Archivbestand ist, und was ich noch so alles erleben werde.

Vielen Dank an P. für dieses tolle Geschenk/ besonderen Archivschatz.