„Die haben die Mauer nicht gestürzt.“- Interview mit Conny E. im Dezember 2019
Ich bin aber auch keine gewesen, die sich das Essen in Mülltonnen gesucht hat oder bei Oma gebettelt hat so wie andere. Ich wollte immer mein eigenes Geld zum Leben verdienen, um unabhängig zu sein. Später bin ich beim Buchhandel, Außenstelle Import gelandet. Ich bekam dort Bücher zu fassen, die in der DDR keiner hatte, beispielsweise Orwells „1984“ oder „Farm der Tiere“. Die Sekretärinnen vom Politbüro haben bei uns regelmäßig die Westbücher als Einzelexemplare bestellt. Vermutlich wollten die auch einmal schauen, was da so Interessantes drinsteht. Meine Aufgabe war es, die Bestellungen der Buchhandlungen zu organisieren. Die Bücher habe ich aber immer zurückgehalten, mich mit meiner Kollegin in der fünften Etage der Regale versteckt und sie erst einmal gelesen.
Nach meiner Zeit in der Dufourstraße bin ich in eine kleine Ausbauwohnung in der Biedermannstraße gezogen. Im Sommer 89 war ich montags öfters vor der Nikolaikirche, bei den höchstens dreißig bis fünfzig Leuten, die dort mit bemalten und beschrifteten Bettlaken standen. Die Menschen wurden dort von der Stasi eingesammelt und auf LOs verfrachtet. Am fünften Oktober bin ich dann ausgereist. Ich habe hier für mich keinen Sinn mehr gesehen. Und dann war ich kaum im Westen und sah im Fernsehen diese Tausenden um den Ring laufen. Da habe ich mich schon gefragt, wo die Monate vorher gewesen sind. Natürlich habe ich mich auch gefreut, dass jetzt endlich etwas passiert. So konnte ich meine Familie viel eher wiedersehen, als ich es gedacht hatte, denn der Abschied tat schon sehr weh.
Aber sauer war ich auch. Diese ganzen Pissbirnen liefen da mit. Jetzt, wo es fast sicher war. Und heute wird das so hingestellt, als ob die da riesig etwas riskiert hätten. Keine vier Wochen vorher hätten die einen noch bei der Stasi angezeigt. Die haben die Mauer nicht gestürzt. Das waren die wenigen Leute, die vorher jahrelang gekämpft haben – diese Mischung aller Subkulturen und die Leute aus dem Untergrund. In mir war da ein Gefühlschaos.
Ende 1991 bin ich nach Leipzig zurückgezogen. Und zwar in die selbe Wohnung, in der Biedermannstraße, in der ich vor meiner Ausreise gewohnt habe. Die stand einfach noch leer. Bei der LWB haben sie meinen Mietaufhebungsvertrag von 89 nicht mehr gefunden. Also galt mein alter Mietvertrag noch. Connewitz war komplettes Niemandsland damals. Als ich dann das erste Mal in meiner alten RFT-Bude stand, woraus inzwischen das Zoro geworden war, war ich total überwältigt. Sie hatten mich dort nicht gebrochen und nun war es ein alternatives Zentrum.
Aber es gab eben auch ständig diese Faschoüberfälle und Trouble. Erst starb Silvio, ein guter Freund von mir in Berlin und keine vier Wochen später wurde Thümi erschossen. Wenige Tage vorher hatten wir noch seinen Geburtstag gefeiert und am Tag seines Todes wollte er noch bei uns vorbeikommen um mit uns Windbeutel essen. Das war hart. Zu den Prozessen bin ich hingegangen. Sie haben sich über Jahre hingezogen. Heute besuche ich ab und an Thümis Grab, weil auf demselben Friedhof auch meine Großeltern und meine Mutter beerdigt sind und halte inne. Man darf nicht darüber nachdenken. Nur einundzwanzig Jahre ist er alt geworden.
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