Das Heldenstadt Anders Archiv – Instrumente
Das Heldenstadt Anders Archiv umfasst nicht nur Mitschnitte, Kleinutensilien, Plakate, Flyer, Buttons, Klamotten und Fotos, sondern auch Instrumente diverser DDR Punk-Gruppen. Gute Instrumente waren in der DDR schwer zu bekommen und teuer. Viele griffen daher auf Eigenbauten zurück, andere versuchten, aus den oftmals sauschweren Gitarren und Bässen mit extremen Saitenabstand – die wer weiß wo – aufgetrieben wurden, gerade Töne zu entlocken. Verzerrer waren meist sowieso selbstgelötet. Drei besondere Instrumente, welche in diesem Jahr ihren Zugang zu uns fanden, wollen wir heute näher vorstellen:
Der Bass von Re-Aktion
Als in diesem Jahr Zirkus Zirkus zu einem Konzert nach Leipzig kamen, brachte uns die Band dieses Instrument für das Archiv mit. Es war liebevoll eingewickelt, so dass es beim Transport nicht beschädigt werden konnte. Der Bass, Marke Musima, Modell „Action Bass“, wurde zwischen den Jahren 1985 und 1990 von Clemens, dem Bassisten der Punkband Re-Aktion gespielt. Da das Instrument von Anfang an nicht bundrein war, entfernte die Band kurzerhand die Stege so, dass eine Art Fretless Bass entstand. Die aufgeklebten Papierdreiecke zeigen stattdessen die Stellen für die Finger, wo die Töne gerade klingen. Wir danken Clemens, Rumpi, Frösi, Herzi und vor allem Jakob, in dessen Keller der Bass über die Jahre eingelagert war, für dieses schöne Stück Oppositionsgeschichte.
Das Schlagzeug von L’Attentat, Defloration und dem Schwarzen Kanal
Die vier Brüder Stefan, Markus, Mutz und Klemi Rebbelmund stammen aus einer Familie, denen die Musikalität bereits in die Wiege gelegt wurde. Mit beginnendem Jugendalter bauten sie den Kohlekeller unter der elterlichen Wohnung in der Funkenburgstraße im Leipziger Waldstraßenviertel zu einem Proberaum um und die drei ältesten begannen mit der Band Kellertreppe ihre musikalische Laufbahn. Fester Bestandteil war dabei dieses goldene Schlagzeug, welches Mutz und dem jüngsten Bruder Klemi zusammen gehörte. Als Letzterer 1986 Schlagzeuger bei L’Attentat wurde, zogen auch diese in den Proberaum der Funkenburgstraße ein. Im selben Jahr lässt sich auch ein illegaler Auftritt der Mönchengladbacher Punklegende EA80 in dem Keller auf dem Inventar des Proberaums nachweisen.
Ab 1987 entstanden aus Teilen von Kellertreppe und neuen Musikern die legendären Defloration, wo Mutz das goldene Schlagzeug malträtierte. Aus den Überresten von L’Attentat gründete sich 1989 der Schwarze Kanal, wo Klemi wiederrum die Taktstöcke schwang, bis er dort 1991 ausstieg. Über das Schlagzeug wurde u.a. die legendäre L’Attentat LP „Made in GDR“ eingespielt, welche 1987 illegal in der BRD erschien. Die darauf zu hörende Kuhglocke ist jedoch leider immer noch verschollen. Bei Auftritten wurde das Schlagzeug von allen drei Bands mitgenommen und eingesetzt. Mit der Auflösung von Defloration 1992 verlor sich die Spur des goldenen Schlagzeugs. Durch einen glücklichen Zufall lernten wir in diesem Jahr Max kennen, welcher Jahre später Schlagzeuger bei Monozid war und dessen erste musikalische Gehversuche auf jenem Schlagzeug bei der Band H-Milch aus Bagdad stattfanden. Es stellte sich heraus, dass dessen Vater Wulf als damaliger Nachbar in der Funkenburgstraße das Schlagzeug geborgen und über die Jahre hinweg aufgehoben hatte. Im Juli dieses Jahres wurden die noch auffindbaren Teile aus einem kleinen Dorf bei Leipzig in unser Archiv überführt. Besonders beachtenswert ist, dass die Fußmaschine noch über einen alten Lederriemen läuft, wie es in den Sechzigerjahren üblich war und vielleicht für Jazzschlagzeuger gut funktioniert, für alle schnellen Musikrichtungen jedoch eine heftige Herausforderung darstellt. Heutige Fußmaschinen besitzen ausnahmslos Ketten als Übertragung zwischen Fuß und Schlägel, was den Schlag präziser macht und die Anschlagsschnelligkeit erheblich beeinflusst. Vielen, vielen Dank für dieses schöne Objekt, lieber Max und lieber Wulf.
Otzes Drumcomputer
Otze, der geistige und musikalische Kopf von Schleimkeim galt als musikalisches Allroundgenie, der sich innerhalb kürzester Zeit alle Instrumente aneignen konnte, die er wollte. Begonnen hatte er um 1980 als Schlagzeuger. Das erste Drumset bestand aus einem Koffer als Fußtrommel und Töpfen. Im Laufe der Jahre übernahm er bei SK in unterschiedlichen Zeiten den Part des Bassisten und des Gitarristen bevor er in den Neunzigerjahren mit Samples, Drumcomputern und Keyboards zu experimentieren begann. Einige Demobänder die im Umlauf sind wurden von Otze auch komplett alleine eingespielt. Die bekanntesten Instrumente von Schleimkeim sind wohl eine Musima-Gitarre, die im Besitz seines Bruders Klaus ist und über die dieser noch in den 2000er Jahren bei Kollektiver Brechreiz spielte, und eine Gitarre, die Otze „Schrott“ getauft hatte. Die „Schrott“ befindet sich vermutlich noch immer in Gotha, da sich dort der letzte Proberaum der Band befand. Bekanntermaßen landete Otze nach der Tötung seines Vaters, 1999 in der forensischen Klinik in Mühlhausen, wo er 2005 verstarb. Richtige Instrumente waren dort nicht zugelassen, so dass ihm seine Familie einen Drumcomputer mit Sampler besorgte, die ihm die Möglichkeit gaben, via Midis weiter Lieder zu komponieren. Der Boss SP-202 kam 1998 auf den Markt und galt als gutes Produkt seiner Zeit. Nachgewiesen wurde der veröffentlichte Song „Leck mich am Arsch“ damit aufgenommen. Auf der Anleitung befindet sich neben einigen Kaffeeflecken auch der Durchdruck eines von Otze gezeichneten Gesichtes, das irgendjemanden zwischen Elvis (Otze war großer Elvis-Verehrer) oder dem Teufel darstellt. Beides ist ihm zuzutrauen. Ab 2001 durfte Otze auch dieses Gerät nicht mehr benutzen, weshalb noch die Tüv-Plaketten dieses Jahres auf den Kabeln erhalten sind. Bei dem Boss SP-202 handelt es sich somit um das letzte Instrument eines herausragenden Musikers und damit um etwas ganz Besonderes und Bewahrenswertes. Micha, Bassist bei Kollektiver Brechreiz, rettete das Instrument vor dem Müll. In einer Plastiktüte überdauerte es die Jahre im Proberaum der Band in Sömmerda, bis wir es im Frühjahr dieses Jahres in das Archiv überführen durften. Für die im Gerät noch enthaltene Smart Card (der Vorgänger der SD-Karte in der Größe einer Kreditkarte mit grandiosen 35 MB Speicherplatz) suchen wir aktuell noch die Möglichkeit, um den Inhalt dieser auszulesen. Danke für euer Vertrauen lieber Micha, Steffen und Hanjo!
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