L‘ Attentat: Exkurs Auenkirche `87 bis Schwarzer Kanal `89

Wenn man am Ende der Achtzigerjahre nach Leipziger Punkkonzerten der Szene um die Band L’Attentat sucht, dann orientiert man sich an Begriffen wie „Mockauer Keller“, „Grafikkeller“, Funkenburgstraße, Dufourstraße oder vielleicht noch „Michaeliskirche“. In der neuen Auflage des Buches „Haare auf Krawall“ gibt es jedoch auf Seite 152 und 209 zwei Konzertfotos von einem für die damalige Leipziger Szene ungewöhnlichen Konzertort, nämlich dem „Festsaal“ der  Markkleeberger Auenkirche. Dort spielten am 10. September 1987 zwar nicht L‘ Attentat selbst, dafür jedoch drei DDR-Punkformationen, sowie die “West“-Band „Aggressive Stuhlbeine“ aus Kiel. Über das Konzert wurde in einigen kleinen Westfanzines berichtet, die Aufmerksamkeit für eine sich sprunghaft neu entfaltende DDR-Jugend-Szene beanspruchte aber ein Konzert, gut einen Monat später, in der Berliner Zionskirche.


Pogo am 10.09.87 in Markkleeberg (Foto: Archiv Ray Schneider)

1987 entwarf der sowjetische Parteichef Gorbatschow  erstmal seit Langem wieder eine optimistische Perspektive für die Welt, erzeugte im Osten die Hoffnung, dass der Sozialismus reformierbar sei und erteilte dem Stalinismus eine Absage. Auch der Kalte Krieg schien mit dem einseitigen Atomtest-Stop der Sowjetunion und einem USA/UdSSR-Abkommen über Mittelstreckenraketen seinem Ende entgegenzugehen. Erich Honecker bereiste als DDR-Oberindianer erstmals die BRD und die SED ging auf Schmusekurs mit der SPD. Sogar der Inkarnation des westlichen Klassenfeindes Franz-Josef Strauß wurde zur Leipziger Messe hofiert, ein kumpelhafter Schlagabtausch zwischen Udo Lindenberg und Honecker um Lederjacken und Schallmeien amüsierte die Medien. Die ganze DDR feierte Berlins 700jähriges Bestehen und die genervte Bevölkerung konterte mit Zahlen an Fenster- und Autoscheiben ihrer jeweils eigenen Jahreszahlen, Leipzig mit 822. 1987 hatten die Tugendwächter der DDR endlich eingesehen, dass sie Musikmoden nicht per Parteierlass ausschalten konnten und integrierten willige New Wave- und Punkbands in ihren Kulturbetrieb. Durch diese Lockerung bildete sich eine DDR-Indieszene, die öffentliche Auftritte hatte und den Verfolgungen der Vorjahre wegen Äußerlichkeiten nicht mehr ausgesetzt war (Ausnahmen wie in Dresden bestätigen die Regel…). Da die Behörden nun äußerlich nicht mehr so einfach harmlose Musikfans von verfolgungswürdigen Staatsfeinden unterscheiden konnten, lockerte man im Vorsommer auch Innenstadtverbote für Punks, wie zum DDR-Sportfest in Leipzig. Innerhalb der evangelischen Kirche spaltete sich zum Berliner Kirchentag die „Kirche von Unten“ ab, in der auch viele Punks aktiv waren und deren Bands die musikalische Untermalung zu den Veranstaltungen der KvU lieferten. Dem unbändigen Drang nach Westmusik, der tausende Jugendliche 1987 an die Berliner Mauer trieb, weil auf der anderen Seite z.B. David Bowie, Genesis oder die Eurythmics spielten, setzten die DDR-Jugendfunktionäre Auftritte westlicher Musiker unter dem Banner der untergehenden FDJ-Sonne entgegen. Die Punkszene ihrerseits schleuste ihre eigenen (West-)Bands ins Land und auch in Leipzig kam es zu ersten illegalen Auftritten von Szene- bands aus dem Westen, wie dem von EA 80 im Proberaum von L‘Attentat (1986).


EA80 bei ihrem Auftritt1986 im Proberaum von L’Attentat in der Funkenburgstraße (Foto: Conny E.)

L’Attentat 1987

L‘Attentat erfreuten sich durch ihre 1987 erfolgte Veröffentlichung ihrer LP „Made in GDR“ bei X-Mist eines zunehmenden Bekanntheitsgrades im Westen. In Fanzines wurden Berichte und Statements der Bandmitglieder veröffentlicht, welche mit vollem Namen und Adresse unterzeichnet waren und die Leser nach Leipzig einluden. Folgerichtig kam es zu Besuchen in der Dufourstraße (dem Treff und Wohnort des Bandumfeldes), erreichten Fanzines und Mixtapes den Osten. Die Szene fühlte sich als Teil und nicht mehr nur als „Zaungast“ in die westlichen Entwicklungen eingebunden. Konzerte der Band L‘Attentat in Leipzig fanden vorrangig und etwa halbjährig im Mockauer Keller statt. Die Organisatoren um die Band benötigten jeweils diesen Zeitraum, um die Verwerfungen mit der Kirchengemeinde und ihren Würdenträgern zu glätten, die das jeweils zurückliegende Konzertereignis hinterlassen hatte. Der Erfolg der L‘Attentat-Platte und die relativ große Resonanz hatte bei den Bandmitgliedern in der ersten Euphorie sogleich Pläne für eine neue, noch straigthere Platte genährt, die man baldmöglichst nachlegen wollte. Songs mit neuen, thematisch ausgerichteten Texten wurden entwickelt, die sich auf landesinterne sowie grenzüberschreitende Szeneproblematiken bezogen, wie den Rechtsradikalismus, den Szeneopportunismus, Militärdienst, Rassismus, die Mauerproblematik usw.


L’Attentat 1987 im Proberaum der Funkenburgstraße (Foto: Riddi Prager)

In Leipzig probte die Band in einem Wohnhauskeller in der Funkenburgstraße im Waldstraßenviertel bei ihrem Drummer Klemens und erste Aufnahmen wurden in diesem Proberaum getätigt. Zudem traf man sich in der CSSR mit dem ausgereisten Bandmitglied Stracke, mit westdeutschen Fanzinemachern sowie den Helfern der Plattenveröffentlichung und knüpfte zunehmend freundschaftliche Kontakte zur westeuropäische Punk- und Hardcore-Szene. Klemens bekam im September 1987 einen Bescheid zur Einberufung zum Wehrdienst in die NVA für den November.

Da die in der Band verbliebenen Gründungsmitglieder den Wehrdienst kompromisslos ablehnten und ohnehin auf ihre Ausreise in den Westen warteten, kollidierten die Meinungen zum Thema innerhalb der Band und es kam zunehmend zum Zerwürfnis. Grundsatzdiskussionen, Vorhaltungen und Anfeindungen erzeugten eine schlechte Stimmung in der Band. Klemens am Schlagzeug sollte vom 2. Gitaristen ersetzt werden, die Band den Proberaum im Keller des Drummers verlassen und im besetzten Haus in der Dufourstraße weiter proben. Der Gitarrist und Sänger Reudnitz befand sich „mehr oder weniger aus familiären Gründen“ (so im Interview in „Wir wollen immer artig sein“/Schwarzkopf & Schwarzkopf dargestellt) auf dem Weg, die Band zu verlassen. Ratte fühlte sich in diesem Klima ebenfalls nicht mehr wohl. „… Eine musikalische Entwicklung, die mir sehr wichtig war, erschien hier kaum möglich. Darüber hinaus war man an vielen Fronten, u.a. auch wie und was im Mockauer Keller laufen sollte, völlig uneins und zerstritten. Aus diesen Gründen wollte ich nicht mehr…“(Maik, im Beiheft zur ‚Made in GDR‘- Neuauflage 2014). Immer wieder kursierten Aussagen von der Auflösung der Band.

Punkrock in Markkleeberg

Einen großen Anteil an den Aktivitäten der Punkszene in Leipzig, aber auch an vielen Rückschlägen, Verboten oder gescheiterten Auftritten, hatte der zweite Gitarrist der Band, Imad, der unter dem Namen „Dominique“ als Inoffizieller Mitarbeiter mit der Staatssicherheit kooperierte. Dieser hatte im September berichtet, dass L‘Attentat seit zwei Monaten nicht mehr proben würde, es mit den Punkern immer weniger würde und durch die depressive Verfassung des Schlagzeugers die Band sich nur noch in einem „losen Zusammenhang“ befände. Mit der Vermischung von Fakten, Gerüchten und dem Auslassen vieler Zusammenhänge versuchte „Dominique“ jeweils seine eigenen Interessen durchzusetzen und vor der Stasi zu verschleiern. Denn gerade im Sommer/Herbst 1987 passierte einiges in der Szene. Im August lud „Dominique“ einen befreundeten westdeutschen Fanzinemacher zu einer „Fete“ mit drei DDR-Bands nach Leipzig ein, darunter L‘Attentat. Dieser reiste mit einem Messevisum zur Herbstmesse in die DDR ein und brachte gleich eine Band mit, die Aggressiven Stuhlbeine aus Kiel. Wer an diesem Donnerstag, den 10.9.1987, in der in Markkleeberg gelegenen Auenkirche auftreten sollte (Einlass 15 Uhr!), blieb lange unklar. Gerüchten zufolge sollten neben L’Attentat die damals gerade sehr beliebten „Spermbirds“ auftreten, die „Sperma-Combo“ und auch von „KFO“ aus Hof war die Rede. Alle vier Bands spielten jedoch nicht. Die Spermbirds, da sie gemeinsam mit Walter 11 einen Auftritt hatten, KFO nicht und auch nicht L’Attentat, da sie sich „aufgelöst“ hätten, wie später das West-Fanzine „Seconds to Nowhere Nr.3“ vermeldete. Dafür spielten an diesem Nachmittag/Abend „Strafkompanie“ aus Berlin, hatten „Reaktion“ aus Potsdam ihren fünften Auftritt seit ihrem Bandbestehen, die „Aggressiven Stuhlbeine“ aus Kiel traten auf und die „Fanatischen Friseure“ aus Eisenach.

In der Abgeschiedenheit von Markkleeberg Ost, weit draußen am Ende der Straßenbahnendhaltestelle, zwischen Gartenanlagen und verstreuten Wohngrundstücken donnerte am Nachmittag zu kaltem Buffet und 350 Liter Freibier „Strafkompanie“ aus Berlin los und brachte das Publikum umgehend in Stimmung. Zur zweiten Band, „Re-Aktion“, schaukelte sich die Stimmung noch höher und es wurde sogar gestagedivet. In Ermangelung einer Bühne vom Kachelofen in der Ecke, der dabei folgerichtig irgendwann zu Bruch ging. Das Stagediving erfreute sich gerade großer Beliebtheit in der Szene, wie auch karierte Hemden, Bandanas-Tücher, bunte Basketballturnschuhe und kurze Hosen als Weiterentwicklung zum gemeinen Punkrock. Dies wurde stilecht von vielen zelebriert. Die „Aggressiven Stuhlbeine“, die sich tatsächlich mit aktuellem Ami-Hardcore vorstellten, leerten aber erst einmal die Tanzfläche, da der Sound von den meisten Anwesenden wohl als zu metallastig angesehen wurde.


Re-Aktion live in Markkleeberg (Foto: Archiv Ray Schneider)

Pogo im Gemeindesaal der Auenkirche Markkleeberg (Foto: Archiv Ray Schneider)

Stagediving vom Kachelofen (Foto: Archiv Ray Schneider)

Als Abschluss spielten die Fanatischen Friseure, die gerade drei Monate nicht mehr geprobt hatten, weil sie ein Diakon aus ihrem Kirchenprobenraum geworfen hatte. Der Abend klang aus mit einer Diashow von Unternehmungen der Szene um die Dufourstraße und den Mockauer Keller. Man beendete die „Party“ zur vereinbarten Zeit und verließ den verschlafenen Vorort mit der Straßenbahn. Die Bands und Gäste schliefen in der Dufourstraße. Am nächsten Tag wurde zwei Stunden aufgeräumt. Der Pfarrer beschwerte sich noch etwas wegen dem Dreck, wegen seinem Kachelofen und weil im Übereifer der Party ein paar Wiener Würstchen und etwas Kartoffelsalat in seiner Kirche herumgeflogen waren. Die Aggressiven Stuhlbeine verließen noch an diesem Tag wieder die DDR.










Frohe Au-Weih!nachten

Doch schon am darauffolgenden Samstag stand im Mockauer Keller das nächste Ergeignis an: eine „Weihnachtsfeier“ im September mit Bescherung, Festessen und natürlich Live-Bands! Um unter sich zu bleiben und unliebsame Gäste draußen zu halten, die eine „offene“ Party sprengen und für egoistische Sauf- und Prügeleinlagen missbrauchen könnten, wurden personenbezogene Einladungskarten angefertigt. Mit der Stasi hatte IMS „Dominique“ bei einem inoffiziellen Treffen vereinbart, dass er zur Messeeröffnung am 6. September nach Berlin fahren würde. Die Stasi war damit zufrieden, denn in ihrem Denken würden sich demzufolge in der Dufourstraße (dem „Anlaufpunkt der Leipziger Punker“) keine negativ-dekadenten Personen aufhalten und Störungen der Messe auszuschließen sein. Diese Strategie hatte man mit dem IMS schon mehrfach durchgespielt, der zu brisanten Ereignissen in der Stadt, wie z.B. dem Sportfest im Frühsommer im Auftrag der Stasi die Punkgemeinde („den harten Kern der Punker“) aus der Stadt führen und somit für Ruhe sorgen sollte. In diesem Zusammenhang kassierte Dominique mehrfach Aufwandsentschädigungen bzw. Prämien zwischen 50 und 100 Mark. Diese sich großer Beliebtheit erfreuenden Fahrten (unter dem Vorwand, dem SED- Spektakel zu entfliehen), welche auf besagten Diafotos festgehalten wurden, festigten auf der einen Seite die Gruppe aus dem Mockauer Keller untereinander, aber auch den Führungsanspruch ihres Organisators IMS „Dominique“. Auf der anderen Seite setzte es die Pläne und Vorgaben des MfS präzise um. Auf seiner Fahrt nach Berlin hatte Dominique am 6. September 60 Einladungen zu eben jener Weihnachtsfeier in der Tasche, die er unter den Berliner Punks verteilte.


Vorderseite der persönlichen Einladung mit Namen

Rückseite mit Programm

Am Mittag des 12. September gestaltete Igor Tatschke als Mitglied des gerade ins Leben gerufenen Projektes „AG Mauerstein“ die Wände des Konzertraums des Mockauer Kellers mit großflächiger Malerei. Mit seiner Band „Grabnoct“ aus Berlin, einer Vor- bzw. Parallelband zu „Wartburgs für Walter“, trat er am Abend selbst im Mockauer Keller auf, ebenso spielte die Berliner Band Namenlos. Als Nachmittags-Vorprogramm fungierte die Leutzscher Band „Zorn“, noch mit Leander Topp an der Gitarre (später Messer Banzani).


Christian von Zorn beim Auftritt am 12.09.87 im Mockauer Keller (Foto: Archiv Ray Schneider)

Zorn am 12.09.87 im Mockauer Keller, Jens am Gesang und Leander am Bass (Foto: Archiv Ray Schneider)

Der Hauptact des Abends war jedoch – neben der Bescherung (Szene-Original Jauche als Knecht Ruprecht…) – der Auftritt der Band L’Attentat, allerdings ohne Klemens. IMS „Dominique“ hatte der Stasi schon angekündigt, dass er die Band L’Attentat trotz des Ausscheidens von Bandmitgliedern weiterführen würde, mit neuen Musikern. Im (West-)Szenefanzine „Seconds to Nowhere“ schob er als Auflösungsgrund von L‘Attentat seine Bandkollegen vor, gab Schwierigkeiten mit dem Bassist Ratte an, und dass Reudnitz „keine Lust mehr hätte“. Sich selbst bezeichnete er im September 1987 als neuen L’Attentat-Schlagzeuger, der mit anderen Bandmitgliedern das Bandprojekt unbedingt weitermachen wolle.


von Igor Tatschke bemalte Wand im Mockauer Keller (Foto: Archiv Ray Schneider)

Man blieb an diesem Abend, dem 12. September unter sich, auch als zu vorgerückter Stunde einige Altenburger Skinheads, die extra angereist waren, Eintritt verlangten. Es war zu dieser Zeit noch unklar, welche politische Haltung die ersten Skinheads in der DDR vertraten, ihr aggressives Auftreten und ihre Distanzlosigkeit zum Rechtsradikalismus machten sie jedoch immer öfter zu ungebetenen Gästen auf Punkkonzerten. Die Türen blieben an diesem Abend für sie verschlossen und der neue Schlagzeuger von L‘Attentat erklärte ihnen verbal eine deutliche Abfuhr.


Ratte (L’Attentat) am Einlass (Foto: Archiv Ray Schneider)

Kessel mit Mischpult (Foto: Archiv Ray Schneider)

IMS „Dominique“

Der gerade neu entstandene Kontakt mit der Band Zorn bescherte L’Attentat sogleich eine neue Auftrittsmöglichkeit. Die Band hatte ihren Proberaum in der Leutzscher Kirche und plante am 24. Oktober in dieser Kirche ein Konzert zusammen mit Wildwuchs und Küchenschaben. Sie luden auch L’Attentat dazu ein. Auf diesem Konzert, so kündigte IMS „Dominique“ später an, würde L‘Attentat dann endgültig ihr letztes Konzert spielen. Bei einem inoffiziellen Treffen mit der Stasi Mitte Oktober berichtete „Dominique“ von den Konzerten im September, vermischte sie jedoch bewusst derartig, dass die Stasi festhielt, die Aggressiven Stuhlbeine hätten ebenfalls am 12.9. im Mockauer Keller gespielt.


IMS „Dominique“ (bis 1985 IKMR „Schwarz“) am Schlagzeug (Foto: Conny E.)

Zur Sprache kam auch ein in Berlin geplantes Konzert in der Zionskirche am 17. Oktober, zu dem L’Attentat fahren würde, um dort gegebenenfalls zu spielen. Genauso berichtete „Dominique“ von der Gruppe Zorn und der Einladung von L’Attentat in die Leutzscher Kirche, woraufhin Informationsbeschaffungsmaßnahmen zur Gruppe Zorn und den Auftritt am 24. 10. eingeleitet wurden.

Beim Konzert am 17. Oktober in der Zionskirche Berlin spielten dann „Die Firma“ aus Ostberlin und „Element of Crime“ aus Westberlin. „L’Attentat“ traten nicht auf, da von den Bandmitgliedern nur „IM Dominique“ und einige Punks aus dem Bandumfeld nach Berlin gereist waren. Beim Konzert kam es zu einem Skinheadüberfall mit mehreren Verletzten, welcher – erstmals über die West- und Ost- Medien verbreitet – auf das Neonazitum in der DDR aufmerksam machte und als Nachahmungseffekt eine Neonazi/Skinheadwelle in der DDR lostrat.



„Dominique“ berichtete der Stasi von diesen Ereignissen, gab über Namen und Treffs Berliner und Leipziger Skinheads Auskunft. Aber mehr noch als die Neonazis interessierte die Stasi in diesen Tagen der Liedermacher „Krawczyk“, der einen Tag nach dem Zorn-Konzert in Leutzsch auftreten, und an dem „Dominique“ als IM teilnehmen sollte.

Zwei Tage später hatte er auf einem erneut anberaumten Treffen seine Erlebnisse von den Auftritten am 24. und 25. Oktober mitzuteilen, bzw. bei Absagen über Meinungsäußerungen der Beteiligten zu berichten. Beide Auftritte wurden durch Druck auf die Kirchenführung in Leutzsch abgesagt. Zum angekündigten Zorn-Konzert waren zahlreiche Punks aus der gesamten DDR nach Leutzsch gereist, auch wegen des Auftritts von L’Attentat. Klemens hatte sich mittlerweile von der Band zurückgezogen und befand sich zu dieser Zeit kurz vor seiner Einberufung auf einem Kurztrip in der CSSR.


aus dem Kabeljau Fanzine Nr.10 über die Konzertabsage in der Kirche von Leutzsch

IMS „Dominique“ traf sich weiterhin mit der Stasi und lieferte alle möglichen und unmöglichen Informationen, z.B. wann Pink Floyd an der Mauer in Westberlin spielen würden.(!) Neben Samisdatschriften, an denen seine nächsten Freunde mitarbeiteten, wie den Grenzfall, den Moarningstar oder den Kopfsprung und Demotapes von der L‘Attentat-Platte, sowie einem Tape der Aggressiven Stuhlbeine, die er ablieferte, berichtete er von der Übergabe des Materials für die L‘Attentat-Platte im Frühjahr in Berlin, zu neuen Bandneugründungen in Leipzig, von allen Partys und wichtigen Akteuren im Mockauer Keller. Ebenfalls von den Entwicklungen und Aktionen in der Nikolaikirche, die er auftragsgemäß besuchte. Auch über seine Westkontakte und Besuche in der Dufourstraße berichtete er, teils sogar im Voraus. Im März 88 erhielt er eine Einweisung in seine Verhaltensweise bei Besuchen aus dem NSW (Nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet), sowie geplanten Auftritten von Punkgruppen in der Kirche Kieler Straße. Auftritte sollten auf Anweisung der Stasi „nur im kleinsten Kreis“ durchgeführt werden. Als er von einem Fanzinemacher 1987 gefragt wurde, was die Gründe für seinen Ausreiseantrag wären, antwortete er folgendermaßen: „Es ist nicht nur das System und die Leute, die mich raustreiben, sondern auch die Szene, weil die Leute immer mehr abstumpfen…“

L’Attentat ab 1988


Flyer vom letzten L’Attentat Konzert in Berlin

L’Attentat traten in alter Besetzung, allerdings ohne Klemens, noch einmal zu Silverster 87/88 in der Christusgemeinde in Halle auf. Im Frühjahr 1988 löste sich die damalige Besetzung von L’Attentat auf. Zu einer Neuzusammenstellung einer dritten L’Attentat-Besetzung kam es 1988 mit den Neumitgliedern Mayer (Gitarre) und Roman (Bass) in der Dufourstraße. Diese spielten bis zur Genehmigung der Ausreise von IMS „Dominique“ im Frühjahr 1989 zusammen, hatten Auftritte im Mockauer Keller und bei der KvU in Berlin. Im Abschlussbericht zum IMS-Vorgang „Dominique“, wird von der Stasi neben seinen operativen Informationsbeschaffungen aufgeführt, dass sich durch dessen Hilfe L’Attentat auflöste und dass sich „der negative Teil der Punker zu politisch-gesellschaftlichen Höhepunkten nicht in Leipzig aufhielt.“ Im August 88 wurde IMS „Dominique“, weil er keiner Arbeit nachging, „als kriminell gefährdeter Bürger“ erfasst. Er beendete daraufhin erbost die Zusammenarbeit mit dem MfS und forderte die Bearbeitung seiner Ausreise, die im Folgejahr genehmigt wurde.

Ende Juni/Anfang Juli `89 trafen sich die beiden verbliebenen L‘Attentat-Stränge aus der Dufourstraße (Mayer und Roman), sowie Reudnitz und Klemens, die sich nach dessen Armeezeit wieder zusammengetan hatten, zu gemeinsamen Proben. Man begann mit fünf Stücken: „Ohne Sinn“, „Mauerlied“, „Tierisch Mensch“, Gorbatschow“ und „Stacheldraht“. Nach Klemis Sommerabstecher in die Sowjetunion plante man für September erste Auftritte als gemeinsame Band. Die Idee zum Namen der neuen Band „Der Schwarze Kanal“ kam Roman im August im mb-Cafe zusammen mit seinen Bandkollegen. Zur Aufdeckung des IM „Dominique“ kam es 1991/92, als das ehemalige L’Attentatmitglied Stracke im Fanzine ZAP über die Spitzeltätigkeiten aus seinen Stasiunterlagen berichtete und szeneinterne Empörungen und Diskussionen auslöste.

Ray, 27.12.2020